Spillover
eines Edgar Allan Poe.
Es ist meine Pflicht, darauf hinzuweisen, dass man diese Beschreibungen nicht allzu wörtlich nehmen sollte – zumindest beschreiben sie nicht den typischen Verlauf einer tödlichen Ebolavirus-Erkrankung. Die Aussagen von Experten – manche veröffentlicht, andere mündlich mitgeteilt – mildern Preston in einigen besonders krassen Punkten ab, ohne aber damit die Entsetzlichkeit von Ebola, was das tatsächliche Leiden und den Tod angeht, kleinzureden. Pierre Rollin beispielsweise, stellvertretender Leiter der Abteilung für besondere Krankheitserreger bei den CDC , ist einer der weltweit erfahrensten Ebolavirus-Experten. Bevor er nach Atlanta ging, war er am Pariser Pasteur-Institut tätig, und im Laufe der letzten 15 Jahren arbeitete er bei vielen Ebola- und Marburg-Epidemien in den Krisenteams mit, so auch in Kikwit und Gulu. Als ich ihn während eines Gesprächs in seinem Büro nach der öffentlichen Wahrnehmung frage, wonach die Krankheit außerordentlich blutig verläuft, unterbricht er mich freundlich mit den Worten »… was einfach Unsinn ist«. Als ich die Beschreibungen in Prestons Buch erwähne, zuckt er frustriert mit den Schultern. Mr. Preston, so fügt Rollin hinzu, könne schreiben, was er wolle, solange er das Produkt als Roman kennzeichne. »Aber wenn man sagt, es sei eine wahre Geschichte, dann muss man auch die wahre Geschichte erzählen, und das hat er nicht gemacht. Es ist einfach viel spannender, wenn überall Blut spritzt und Panik herrscht.« Manche Patienten, so fährt Rollin fort, verbluten tatsächlich, aber »sie explodieren nicht, und sie schmelzen nicht«. Eigentlich ist nach seiner Ansicht schon der häufig genutzte Begriff »hämorrhagisches Ebolafieber« für die Ebola-Viruserkrankung eine falsche Bezeichnung, denn über die Hälfte aller Patienten blutet überhaupt nicht. Sie sterben aus anderen Gründen, beispielsweise durch Atembeschwerden oder weil innere Organe ihre Funktion einstellen (sich aber nicht auflösen).
Eine ähnliche Antwort bekomme ich von Karl Johnson, einem der Pioniere bei der Erforschung von Ebola-Epidemien, dessen Verdienste ich bereits in Umrissen geschildert habe. Er formuliert sie mit der ihm eigenen Offenheit. Als wir während des Interviews auf Hot Zone zu sprechen kommen, sagt Johnson: »Blutige Tränen sind Unsinn. Niemand hat je blutige Tränen gehabt.« Außerdem, so fährt er fort, »sind die Leute keine formlosen Schleimbeutel, wenn sie sterben«. Wie Pierre Rollin, so ist auch Johnson der Ansicht, dass die Geschichte mit dem Blut hemmungslos übertrieben war. Wenn du eine wirklich blutige Krankheit willst, so sagt er, dann sieh dir das Krim-Kongo-Fieber an. Ebola ist schlimm und tödlich, ganz klar, aber nicht auf diese Weise.
In der Realität, wie sie in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben wird, sieht die Liste der wichtigsten Symptome einer Ebola-Viruserkrankung so aus: Bauchschmerzen, Fieber, Kopfschmerzen, Halsschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, Appetitlosigkeit, Arthralgie (Gelenkschmerzen), Myalgie (Muskelschmerzen), Asthenie (Schwäche), Tachypnöe (schnelle Atmung), Bindehautentzündung und Durchfall. Die Bindehautentzündung ist aber nicht mit blutigen Tränen verbunden. Weitere Symptome, die in einem kleineren Teil der Fälle auftreten, sind Schmerzen in der Brust, blutiges Erbrechen, Zahnfleischbluten, blutiger Stuhl, Blutungen nach Nadelstichen, Anurie (Ausbleiben der Urinproduktion), Ausschlag, Schluckauf und Ohrgeräusche. Während der Epidemie von Kikwit hatten 59 Prozent der Patienten überhaupt keine erkennbaren Blutungen, und allgemein waren Blutungen kein Hinweis darauf, wer überlebte und wer nicht. Schnelle Atmung, fehlende Urinproduktion und Schluckauf dagegen waren unheilvolle Anzeichen des bevorstehenden Todes. Die Patienten, die Blutungen hatten, verloren nie übermäßig viel Blut; eine Ausnahme waren schwangere Frauen, die spontane Fehlgeburten erlitten. Die meisten, die nicht überlebten, starben in einem Zustand von Starre und Schock und nicht in einem hollywoodreifen blutigen Showdown.
Aber trotz all dieser Befunde, die unter entsetzlichen, gefährlichen Bedingungen gesammelt wurden – wobei der wichtigste Auftrag nicht die Wissenschaft, sondern die Rettung von Menschenleben war –, sind sich nicht einmal die Experten ganz sicher, wie das Virus normalerweise den Tod herbeiführt. »Den Mechanismus kennen wir nicht«, sagte mir Pierre Rollin. Er verwies auf Leberversagen,
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