Spillover
an.
Dann steuerte Warfield schnurstracks die medizinische Abteilung an. Dort wurde sie in einen kleinen Raum gebracht, von der diensthabenden Ärztin – einer Zivilistin – zu dem Unfall befragt und dann einer »körperlichen Untersuchung« unterzogen. Während der ganzen Zeit berührte die Ärztin sie nicht. »Es war, als hätte sie Angst, ich könnte schon Ebola haben«, erinnert sich Warfield. Die Inkubationszeit von Ebola bemisst sich nicht nach Stunden oder Minuten, sondern nach Tagen. Es dauert mindestens zwei Tage, in der Regel aber mehr als eine Woche, bis das Virus Fuß gefasst hat, sich in großen Mengen vermehrt, Symptome verursacht und seinen Träger ansteckend macht. Das schien diese Ärztin aber nicht zu wissen, oder es kümmerte sie nicht. »Sie hat sich benommen, als wäre ich schon eine Aussätzige.« Dann ging die Ärztin weg, um sich mit anderen zu besprechen; anschließend brachte der Leiter der medizinischen Abteilung Warfield in sein Büro, bot ihr einen Platz an und erklärte ihr in aller Ruhe die nächsten Schritte. Er wollte sie in die »Kiste« stecken.
Die »Kiste« von USAMRIID ist ein medizinischer Isolationstrakt; er dient der Versorgung von Personen, die sich mit gefährlichen Krankheitserregern angesteckt haben, und soll gleichzeitig verhindern, dass sich die Infektion auf andere Personen ausbreitet. Die »Kiste« besteht aus zwei Krankenzimmern, die sich hinter weiteren druckdicht verschlossenen Türen und einer chemischen Dusche befinden. Durch die Tür Nummer 537 im Labyrinth der Korridore von USAMRIID betritt ein neuer Patient die Räumlichkeiten, und wenn alles gut geht, spaziert er irgendwann auch durch diese Tür wieder hinaus. Alle anderen Menschen – medizinisches Personal und treue, unerschrockene Freunde – müssen sich durch eine kleinere Tür in einen Umkleideraum begeben, wo sauber gefaltete Chirurgenanzüge gebrauchsfertig auf Regalen liegen, und gehen dann durch eine unter Druck stehende Stahltür in einen luftdicht abgeschlossenen Duschraum. Auf der anderen Seite der Dusche befindet sich eine weitere Stahltür. Die beiden Stahltüren stehen unter Druck und öffnen sich nie gleichzeitig. So lange bei dem Patienten keine Anzeichen einer Infektion zu erkennen sind, dürfen zugelassene Besucher die »Kiste« in Chirurgenanzug und mit Kittel, Gesichtsmaske und Handschuhen bekleidet betreten. Stellt sich heraus, dass der Patient infiziert ist, verwandelt sich der ganze Trakt in einen Sicherheitsbereich der Stufe B4: Jetzt müssen Ärzte und Pflegepersonal vollständige blaue Schutzanzüge tragen, Besucher sind nicht mehr zugelassen. In diesem Fall muss das medizinische Personal beim Hinausgehen gründlich duschen; die Chirurgenkleidung bleibt in einem Sack zurück und wird autoklaviert.
Am 12. Februar 2004, einen Tag nach dem Unfall, zog Kelly Warfield in die »Kiste«. Zuvor hatte sie mit der Hilfe eines Armeeanwalts ihr Testament verfasst und Anweisungen für medizinische Entscheidungen an ihrem Lebensende gegeben. Ihr Ehemann befand sich zu einer militärischen Weiterbildung in Texas; sie hatte ihn telefonisch über die Situation in Kenntnis gesetzt und alles Wichtige mit ihm besprochen. Irgendwann hatte sie zu ihm gesagt: »Wenn ich krank werde, gebt mir bitte, bitte viel Morphium. Ich habe die Krankheit gesehen« – sie hatte miterlebt, wie Affen im Labor daran gestorben waren – »und ich weiß, es tut weh.«
Wie ich bereits erwähnt habe, wird die Inkubationszeit für die Ebola-Viruserkrankung mit mindestens zwei Tagen veranschlagt; sie kann aber auch drei Wochen dauern. Wenn die Krankheit innerhalb dieser Zeit nicht ausbricht, so damals die allgemeine Meinung der Experten, dann würde es auch nicht mehr geschehen. Kelly Warfield war also zu 21 Tagen in der »Kiste« verurteilt. »Es war wie im Gefängnis«, erzählte sie mir. Dann fügte sie hinzu: »Du hast das Gefühl, du sitzt im Knast und wartest auf den Tod.«
Ein Unterschied zum Gefängnis besteht darin, dass mehr Blutuntersuchungen durchgeführt werden. Jeden Morgen kam ihre Freundin Diane Negley, die zufällig für Blutentnahmen ausgebildet war und über Ebola so viel wusste, dass sie sich ihres eigenen Risikos bewusst war, zapfte eine Vene an und nahm Warfield ein wenig Blut ab. Als Gegenleistung brachte sie einen Donut und einen Latte macchiato mit. Negleys morgendlicher Besuch war für Warfield jedes Mal der Höhepunkt des Tages. Während der ersten Woche nahm die Freundin jeden Tag rund 50
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