Spillover
dünnen Latex waren ihre Hände der verletzlichste Körperteil; mit Vinyl konnte man sie nicht schützen, weil sie feine Arbeiten ausführen mussten. Ihr Arbeitstisch war ein Wagen aus Edelstahl, der einem Krankenhauswagen ähnelte und sowohl leicht zu reinigen als auch leicht zu bewegen war. Man musste seine Arbeit schon lieben, um sich freiwillig an einen solchen Ort zu begeben.
Unter genau diesen Umständen war Kelly am 11. Februar 2004 um 17 Uhr 30 allein in AA -5. Sie war an diesem Tag erst spät dazu gekommen, die notwendigen Arbeiten für das Ebola-Experiment auszuführen. Vor ihr auf dem Wagen stand ein Käfig voller Mäuse, daneben ein Kunststoffkolben und ein Klemmbrett mit Papier für ihre Notizen. Viel mehr brauchte sie nicht. Es sollte für diesen Tag der letzte Mäusekäfig sein. Sie füllte eine Spritze und verabreichte neun Mäusen nacheinander vorsichtig die Injektion. Nach der Injektion setzte sie die Mäuse in den Kolben, um die bereits behandelten Tiere von den anderen zu trennen. Jetzt war noch eine Maus übrig. Vielleicht war sie ein wenig müde. Unfälle passieren einfach. Diese allerletzte Maus machte Schwierigkeiten. Unmittelbar nach der Injektion trat sie plötzlich gegen die Kanüle und lenkte die Spitze in Kelly Warfields linken Handballen.
Die Wunde – wenn es überhaupt eine war – schien nur ein ganz kleiner Kratzer zu sein. »Am Anfang habe ich gedacht, die Nadel sei überhaupt nicht durch die Handschuhe gegangen«, erzählte sie mir. »Es hat nicht wehgetan. Nichts hat wehgetan.« Mit eiserner Selbstdisziplin behielt sie die Ruhe, setzte die Maus zurück in den Käfig, legte die Spritze weg und drückte dann auf ihre Hand. Jetzt sah sie, wie Blut unter den Handschuhen zum Vorschein kam. »Ich wusste also, dass ich mich gestochen hatte.«
Während Kelly Warfield mir von den Geschehnissen jenes Tages erzählt, sitzen wir an einem Tisch in ihrem hellen, freundlichen Haus, das sie gemeinsam mit ihrem Mann, einem Stabsarzt, und ihrem kleinen Sohn bewohnt. Am Kühlschrank hängen Kinderzeichnungen, ein paar Spielzeuge liegen herum, hinter dem Haus erstreckt sich ein großer Garten, in dem zwei Pudelmischlinge herumtollen.
Ihre Gedanken seien gerast, berichtet sie: von einem ersten »du liebe Güte, jetzt ist es passiert« bis zu der nüchternen Überlegung, was eigentlich passiert war. Sie hatte sich keine lebenden Ebolaviren injiziert – oder jedenfalls nicht viele. In der Spritze hatten sich keine Ebolaviren befunden, sondern Antikörper, die völlig harmlos waren. Allerdings hatte sie mit der Nadel zehn ebolainfizierte Mäuse gestochen, bevor die Spitze in ihre Haut eindrang. Wenn Ebolaviren-Teilchen an der Spitze hängengeblieben und in ihr Blut gelangt waren, hatte sie eine winzige Dosis abbekommen. Und unter Umständen reichte eine winzige Dosis, das wusste sie. Schnell klemmte sie den gelben Schlauch ab und begab sich aus dem B4-Labor durch die erste Druckschleuse in einen luftdicht abgeschlossenen Raum, der mit einer chemischen Dusche ausgerüstet war. Dort duschte sie die Außenseite ihres blauen Anzuges mit einer virentötenden Lösung ab.
Dann ging sie durch die zweite Tür in einen Umkleideraum, der als »graue Seite« bezeichnet wurde. Sie zog die Stiefel aus, schälte sich so schnell wie möglich aus dem blauen Anzug, so dass ihre Kleidung nur noch aus Chirurgenunterwäsche bestand. Dann rief sie von einem Telefon an der Wand zwei enge Freundinnen an; eine davon war Diane Negley, die die Aufsicht über das B4-Labor hatte. Negley hatte das Institut schon verlassen, ging zu Hause aber nicht ans Telefon, also hinterließ Warfield ihr eine verzweifelte Nachricht auf dem Anrufbeantworter: Ich hatte einen Unfall, habe mich gestochen, bitte komm ins Labor. Die andere Freundin, eine Kollegin namens Lisa Hensley, war noch an ihrem Arbeitsplatz, sie sagte: »Fang schon mal an, dich zu waschen. Ich bin auf dem Weg zu dir.« Warfield schrubbte sich die Hände mit Betadin ab, spülte mit Wasser und Salzlösung nach, schrubbte noch einmal. Wenig später war Hensley bei ihr auf der »grauen Seite« und begann, andere Mitarbeiter zu alarmieren, darunter auch jene in der medizinischen Abteilung, die für Unfälle zuständig waren. Warfield reinigte sich währenddessen weiter mit Betadin. Nach fünf oder zehn Minuten glaubte sie, an der Verletzungsstelle alles Menschenmögliche getan zu haben; sie legte die Chirurgen-Unterwäsche ab, duschte mit Wasser und Seife, und kleidete sich
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