Spillover
Virusforschung, wenn auch niemand mit hochgefährlichen Krankheitserregern wie Ebola arbeitete. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit untersuchte Warfield die Immunantwort von Mäusen gegen Rotavirusinfektionen. Sie sammelte Erfahrungen im Umgang mit Versuchstieren (vorwiegend Mäusen) als Modellorganismen für die Immunantwort des Menschen auf Virusinfektionen und sie lernte auch ein wenig über Impfstoffherstellung. Insbesondere eignete sie sich Fachkenntnisse in einer Methode zur Impfstoffherstellung an, bei der man nicht wie im konventionellen Verfahren lebende, durch künstlich ausgelöste Evolution abgeschwächte Viren verwendet, sondern sogenannte virusähnliche Partikel, nach dem englischen Fachbegriff viruslike particles auch VLP s genannt. Bei den VLP s handelt es sich im Wesentlichen um die Außenhüllen von Viren, die zwar für die Produktion von Antikörpern sorgen und das Immunsystem damit in Bereitschaft versetzen können, die aber kein funktionsfähiges Innenleben besitzen und sich deshalb weder vermehren noch eine Krankheit verursachen. VLP s gelten als besonders vielversprechend für die Entwicklung von Impfstoffen gegen Viren wie Ebola, die für eine Impfung mit lebenden Viren zu gefährlich sind.
Kelly Warfields Traum ging in Erfüllung. Im Juni 2002, nur wenige Tage nachdem sie in Houston die Prüfung abgelegt hatte, nahm sie die Arbeit am USAMRIID auf. Das Institut der Armee hatte sie unter anderem wegen ihrer Erfahrung mit den VLPs eingestellt. Nachdem sie eine Reihe von Impfungen hinter sich gebracht hatte, die erforderlich sind, ehe ein neuer Mitarbeiter die Labors der biologischen Sicherheitsstufe 3 (B3) betreten darf – darunter so unangenehme Krankheiten wie das Rift-Valley-Fieber, venezolanische Pferdeenzephalitis, Pocken und Milzbrand –, erhielt sie die Zulassung für die B3-Labors und wenig später auch für die Stufe B4, wo man die Erreger erforscht, gegen die es weder Impfstoffe noch Therapien gibt. Jetzt endlich konnte sie mit Ebolaviren arbeiten.
Vorwiegend beschäftigte sie sich weiter mit VLP s, half aber im Labor ihres Chefs auch bei anderen Projekten. In einem davon ging es um die Erprobung von Antikörpern, die im Labor erzeugt worden waren und möglicherweise zur Behandlung der Ebola-Viruserkrankung dienen konnten. Diese Antikörper sollten das Virus dadurch hemmen, dass sie sich nicht mit dem Virus selbst verbanden, sondern mit einem zelleigenen Protein, das an der Virusvermehrung mitwirkte. Es war eine kluge Idee. Auch hier benutzte Warfield Mäuse als Versuchstiere; sie hatte jetzt bereits jahrelange Erfahrung im Umgang mit den Tieren und war es gewohnt, ihnen Spritzen zu geben. Für das Experiment infizierte sie 50 oder 60 Mäuse mit Ebolaviren und behandelte sie in den nachfolgenden Tagen mit dem experimentell erzeugten Antikörper. Würden sie weiterleben oder sterben?
Die Mäuse wurden in durchsichtigen Kunststoffkäfigen gehalten, die wie Pfannen mit hohen Seitenwänden aussahen. In jedem der Käfige befanden sich zehn Mäuse. Wie Warfield sehr genau wusste, sind ein methodisches Vorgehen und ständige Aufmerksamkeit entscheidende Voraussetzungen für Arbeiten unter der Sicherheitsstufe 4. In diesem Experiment gehörte es zu ihrem methodischen Vorgehen, dass sie eine Spritze mit einer Menge der Antikörperlösung füllte, die für zehn Dosen ausreichte, und dann den zehn Mäusen eines Käfigs mit derselben Spritze und derselben Kanüle die Injektion verabreichte. Kreuzinfektionen bereiteten ihr keine Sorge, denn alle Tiere hatten bereits eine Dosis derselben Ebolavirus-Charge erhalten. Mehrere Mäuse mit einer einzigen Spritze zu behandeln, sparte Zeit, und Zeit ist wegen der schwierigen äußeren Umstände im B4-Labor gleichbedeutend mit Stress und wachsendem Risiko.
Wie sahen diese Umstände für Kelly Warfield aus? Üblicherweise arbeitete sie in einem B4-Labortrakt, der die Bezeichnung AA-5 trug. Er lag hinter drei Unterdruckschleusen und einem Plexiglasfenster. Sie trug einen blauen Schutzanzug aus Vinyl mit vollständig geschlossenem Helm, einem durchsichtigen Visier und einem Frischluftanschluss. An diesen war ein gelber Schlauch angeschlossen, der sich von der Decke herabringelte und gefilterte Luft in den Anzug leitete. Sie trug Gummistiefel und zwei Paar Handschuhe – Latexhandschuhe und darüber die dickeren Gummihandschuhe, die an den Handgelenken mit Isolierband luftdicht am Schutzanzug befestigt waren. Aber trotz der dicken Gummihandschuhe über dem
Weitere Kostenlose Bücher