Spillover
Milliliter Blut ab, ein beträchtliches Volumen, das eine ganze Reihe von Untersuchungen ermöglichte; außerdem blieb noch etwas übrig, das man einfrieren und einlagern konnte. Mittels der sogenannten Polymerasekettenreaktion ( polymerase chain reaction , PCR ), einer Methode, die jedem Molekularbiologen vertraut ist, suchte man im Blut nach Abschnitten von Ebola- RNA – dem genetischen Material des Virus. Mit diesem Test kann man frühzeitig Alarm schlagen, er liefert manchmal aber auch falsch-positive Ergebnisse und wurde deshalb bei jeder Blutprobe routinemäßig zweimal angewandt. Mit einem anderen Verfahren suchte man nach Interferon, einer Substanz, die bei Virusinfektionen jeder Art gebildet wird. Und ein dritter Test zielte auf Veränderungen der Blutgerinnung ab und sollte frühzeitig auf die disseminierte intravasale Koagulopathie aufmerksam machen, jene katastrophale Form der Blutgerinnung, durch die Blut ausläuft, wo es nicht auslaufen sollte. Warfield forderte das medizinische Personal auf, ihr so viel Blut zu entnehmen, wie sie brauchten. Immer wieder sagte sie ihnen: »Wenn ich sterbe, sollt ihr an mir so viel lernen, wie überhaupt nur möglich ist.« Das Gleiche sagte sie ihrer Familie: Wenn es zum Schlimmsten kommt, sollen sie mich obduzieren. Sie sollen alle nur denkbaren Informationen gewinnen.
In der ersten Woche waren alle Testergebnisse normal und beruhigend – mit einer Ausnahme: Bei der Blutprobe eines Tages erbrachte die zweite PCR -Analyse ein positives Ergebnis. Demnach hatte sie Ebolaviren im Blut. Das Ergebnis war falsch. Der vorläufige Befund machte Warfield Angst, aber wenig später wurde der Fehler durch weitere Tests korrigiert. Hoppla, nein, tut uns leid. Nachdem sie ihr zwei Wochen wie die Vampire Blut abgezapft hatten und alle Testergebnisse beruhigend waren, wuchs in Warfield die Zuversicht, dass sie nicht an Ebola sterben würde. Sie war schwach und mitgenommen, und ihre Venen waren ebenfalls ziemlich angegriffen; deshalb bat sie darum, die täglichen Blutentnahmen auf ein Minimum zu beschränken.
Dass sie nicht verrückt wurde, verdankte sie ihrer Mutter und einigen engen Freundinnen (die sie häufig besuchen konnten), ihrem Mann (der dazu nicht in der Lage war), ihrem Vater (der sich von der Besucherliste fernhielt, damit er sich im Fall, dass alle anderen sich ansteckten, in Quarantäne mussten und dann starben, um ihren Sohn kümmern konnte), und einem gewissen Galgenhumor. Ihr Sohn Christian war zu jener Zeit erst drei Jahre alt und durfte USAMRIID wegen der dort gültigen Altersbeschränkungen nicht betreten. Ihm erklärte man, die Mama werde wegen »besonderer Arbeiten« für drei Wochen nicht zu Hause sein. Über eine Videoverbindung konnte sie ihre Angehörigen draußen aber wenigstens sehen und mit ihnen sprechen. Hi, ich bi n ’s, Kelly, live aus Ebolaville, wie geht’s euch heute?
Am Morgen des 3. März 2004 öffnete sich die Tür 537, und Kelly Warfield durfte die »Kiste« verlassen. Nach einigen Monaten bekam sie ihre Genehmigung für die B4-Labors zurück. Jetzt konnte sie den Schwanz des Drachen wieder kitzeln, der sie hätte umbringen können.
»Haben Sie jemals daran gedacht, nicht wieder mit Ebola zu arbeiten?«, frage ich.
»Nein«, erwidert sie.
»Was fasziniert Sie an dieser Arbeit?«
»Ich weiß nicht«, sagt sie und beginnt zu grübeln. »Ich meine, warum ausgerechnet Ebola? Daran sterben jedes Jahr nur ein paar Hundert Menschen.« Mit anderen Worten: Es ist keine Krankheit von großer, weltweiter Bedeutung, und trotz allen düsteren Szenarien, die manche Leute entwerfen, wird sie es wohl auch nicht werden. Sie versucht, das Faszinosum in wissenschaftlichen Begriffen zu beschreiben. So interessiert es sie beispielsweise brennend, wie ein so einfacher Organismus eine derart tödliche Wirkung entfalten kann. Er enthält nur ein winziges Genom: Das reicht gerade einmal für den Aufbau von zehn Proteinen, die für die gesamte Struktur, Funktion und Vermehrungsfähigkeit des Erregers verantwortlich sind. (Schon die genetische Komplexität eines Herpesvirus ist etwa zehnmal größer.) Und trotz dieses winzigen Genoms ist das Ebolavirus so bösartig. Es kann einen Menschen in sieben Tagen töten. »Wie kann etwas, das so klein und so einfach ist, so brandgefährlich sein?« Warfield stellte die Frage in den Raum, und ich wartete. »Das finde ich wirklich faszinierend.«
Nachdem mir Kelly Warfield einen großen Teil ihres Tages gewidmet hat, will
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