Spillover
Ende starben. Zu den Infizierten gehörte auch eine 46-jährige Frau von den Philippinen, die in Ontario als Schwesternhelferin arbeitete. Sie flog zu Ostern nach Hause auf die Philippinen, fühlte sich am Tag nach ihrer Ankunft nicht wohl, blieb aber aktiv, ging einkaufen und besuchte Verwandte und setzte so auf der Insel Luzon eine neue Ansteckungskette in Gang. Damit war SARS innerhalb von sechs Wochen mit zwei Langstreckenflügen um die halbe Welt hin- und zurückgereist. Unter anderen Voraussetzungen – weniger Verzögerung am Boden in Toronto, ein Besucher, der zu einem früheren Zeitpunkt von dort nach Luzon, Singapur oder Sydney gereist wäre –, hätte die Krankheit ihre Weltumrundung noch viel früher vollenden können.
Die Behauptung, SARS sei in ein Flugzeug gestiegen, ist natürlich nicht wörtlich zu nehmen. Was ich damit meine, ist klar: In Wirklichkeit ging in beiden Fällen eine unglückliche Frau an Bord, die einen infektiösen Erreger in sich trug. Die Großmutter aus Toronto und die philippinische Schwesternhelferin werden aus Gründen des medizinischen Datenschutzes in den offiziellen Berichten nicht mit Namen genannt, sondern (wie der malariakranke Landvermesser BW ) nur anhand von Alter, Geschlecht, Beruf und Initialen kenntlich gemacht. Und was den Erreger angeht: Er wurde erst Wochen nach Beginn der Epidemie identifiziert und mit einem Namen versehen. In diesem frühen Stadium konnte niemand genau sagen, ob es sich um ein Virus, ein Bakterium oder irgendetwas anderes handelte.
Mittlerweile war er auch in Singapur, Vietnam, Thailand, Taiwan und Peking eingetroffen. Singapur wurde zu einem weiteren Brennpunkt. Ein chinesisch-amerikanischer Geschäftsmann, der die Infektion aus Hongkong mitgebracht hatte, erkrankte in Hanoi so schwer, dass er von Dr. Carlo Urbani untersucht wurde, einem italienischen Parasitologen und Experten für übertragbare Krankheiten, der sich im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation in der Stadt aufhielt. Zehn Tage später war der Geschäftsmann tot, nach einem weiteren Monat auch Dr. Urbani. Der Italiener starb in einem Krankenhaus in Bangkok; dorthin war er zu einer Parasitologen-Tagung geflogen, teilnehmen konnte er allerdings nicht mehr. Wegen seiner in der WHO vielfach bewunderten Arbeit wurde sein Tod zu einem Musterbeispiel für die allgemeine Gesetzmäßigkeit, die sich später herauskristallisierte: hohe Ansteckungsrate und hohe Sterblichkeit bei medizinischem Personal, das mit der neuen Krankheit in Kontakt gekommen war; diese gedieh offenbar in Krankenhäusern und verbreitete sich per Flugzeug.
Nach Peking kam sie mit zwei Verkehrsmitteln. Eines davon war der Flug 112 der China Airlines aus Hongkong am 15. März. (Im zweiten Fall reiste die Krankheit per Auto nach Peking, weil eine erkrankte Frau aus der Provinz Shanxi in die Hauptstadt fuhr, wo sie sich eine bessere Behandlung erhoffte. Wie sie sich angesteckt hatte und an wen sie die Krankheit ihrerseits weitergab, ist eine andere Geschichte.) Der Flug CA112 hob an jenem Tag mit 120 Menschen an Bord in Hongkong ab. Unter den Passagieren war ein Mann mit Fieber und einem Husten, der sich ständig verschlimmerte. Als die Maschine drei Stunden später in Peking landete, hatten sich 22 andere Passagiere und zwei Flugbegleiter von dem hustenden Mann eine ansteckende Dosis zugezogen. Anschließend verbreitete sich die Krankheit in Peking auf mehr als siebzig Krankenhäuser – ja, es waren wirklich siebzig . Infiziert wurden fast 400 Angehörige des medizinischen Personals, außerdem andere Patienten und ihre Besucher.
Ungefähr zur gleichen Zeit lösten die Beamten in der Genfer WHO -Zentrale wegen der ungewöhnlichen Atemwegserkrankung aus Vietnam und China weltweit Alarm aus. (Kanada und die Philippinen wurden nicht erwähnt, weil man noch nicht wusste, dass auch diese Länder betroffen waren.) In der Erklärung hieß es, in Vietnam sei eine Epidemie von einem einzigen Patienten ausgegangen (dem Mann, den Carlo Urbani untersucht hatte), und dieser sei »zur Behandlung schwerer, akuter Atemwegsbeschwerden unbekannter Herkunft ins Krankenhaus aufgenommen worden«. 38 Einige Tage später, als das Muster der hier und dort aufflackernden Epidemie immer deutlicher wurde, veröffentlichte die WHO eine weitere Warnmeldung. Sie war als Reisewarnung formuliert und kennzeichnet den Übergang von der Umschreibung zur Benennung der Krankheit. Dort hieß es: »Während der letzten Woche sind bei der WHO Berichte
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