Spillover
Regel Makaken, wenn es aber notwendig ist und sich die Gelegenheit bietet, fallen ihr auch Menschen zum Opfer. Da immer mehr Menschen in die Wälder Borneos vorgedrungen sind – wobei sie die Makaken getötet und verdrängt, Bäume abgeholzt, Brandrodung betrieben, Ölpalmenplantagen und kleine Höfe angelegt haben, womit sie sich selbst als neue Wirte präsentierten –, sind sowohl die Notwendigkeit als auch die Gelegenheiten gewachsen. (Borneo wurde in den letzten Jahrzehnten mit großer Geschwindigkeit abgeholzt, so dass die Insel heute nur noch zu knapp 50 Prozent bewaldet ist; gleichzeitig ist ihre Bevölkerung auf ungefähr 16 Millionen Menschen angewachsen. Diese Tatsachen nennen Cox-Singh und Singh nicht ausdrücklich, sie dachten aber mit Sicherheit daran.) Angesichts solcher Umstände, so schreiben die beiden, »ist es möglich, dass wir die Bühne für einen Wirtswechsel von P. knowlesi geschaffen haben, ganz ähnlich wie es auch für P. vivax postuliert wurde«. 37 Damit meinen sie den Wechsel vom Makaken zum Menschen.
Mir gegenüber bringen sie die gleiche Besorgnis zum Ausdruck. »Haben wir selbst dieses bequeme Einfallstor für P. knowlesi geschaffen?« Es ist Cox-Singh, die diese Frage laut ausspricht. Mit »Einfallstor« meint sie eine ökologische Gelegenheit. »Was soll eine Mücke machen? Passt sie sich an eine weniger stark bewaldete Umwelt an, wenn wir ihr zu viel von ihrem Lebensraum wegnehmen?«
Sie hält inne, lässt den Gedanken wirken und ergreift dann erneut das Wort. »Ich glaube ehrlich, dass wir an einem kritischen Punkt angelangt sind. Wir sollten aufmerksam sein und die Situation sehr, sehr genau beobachten«, sagt sie. »Dann können wir nur hoffen, dass nichts passiert.« Aber wie sie natürlich sehr genau weiß, passiert immer etwas. Die Frage ist nur: was und wann?
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Gefährliche Generalisten
Auch heute noch, Jahre nach meinem Gespräch mit Balbir Singh und Janet Cox-Singh, beschäftigt mich Plasmodium knowlesi. Eine Eigentümlichkeit, die die beiden Wissenschaftler erwähnt hatten, lässt mich nicht los: Im Gegensatz zu anderen Malariaparasiten ist P. knowlesi in der Lage, sich in mehreren Primatenarten zu vermehren. Javaneraffen, Schweinsaffen und Bindenlanguren infiziert es, ohne ihnen große Unannehmlichkeiten zu bereiten. Manchmal infiziert es aber auch Menschen, und dann kann eine schwere Malariaerkrankung die Folge sein. Wie Laborexperimente gezeigt haben, können sich auch Rhesusaffen anstecken, die dann schnell und chancenlos sterben. Wie sich bei weiteren experimentellen Untersuchungen herausgestellt hat, kann P. knowlesi ein breites Spektrum von Primaten infizieren, darunter südamerikanische Marmosetten, Paviane aus Afrika und weitere asiatische Makakenarten. Was die Wirte für die ungeschlechtliche Phase seines Lebenszyklus angeht – für die Phase vom Sporozoiten bis zum Gametocyten, die sich in Blut und Leber von Säugetieren abspielt –, ist der Parasit also ein Generalist. Und Generalisten kommen in der Regel auch unter wechselnden ökologischen Verhältnissen gut zurecht.
Ich erinnere mich an eine beeindruckende Abbildung aus dem Übersichtsartikel der beiden Forscher. Sie zeigt eine Landkartenskizze der Region mit Indien, Südostasien und der Inselwelt, in deren Mitte Borneo liegt. Auf der Karte sind die Verbreitungsgebiete der Mückenart Anopheles leucosphyrus und die von Javaneraffen eingetragen. Die Linie, die das ursprüngliche Verbreitungsgebiet der Mücken begrenzt, verläuft in einer kleinen Schleife rund um den Südwesten Indiens und Sri Lankas und bildet dann eine viel größere, unregelmäßige Schleife, die sich wie eine gespenstische, kontinentweite Amöbe über die Karte ausbreitet. Diese größere Schleife umschließt Bhutan, Myanmar und die Hälfte von Bangladesch, die nordwestlichen Bundesstaaten Indiens, einschließlich Assam, den Süden Chinas mit Yunnan, Hainan und Taiwan, Thailand, Kambodscha, Vietnam und Laos, Malaysia, die gesamten Philippinen und große Teile Indonesiens; im Osten erstreckt sie sich noch über Bali und Sulawesi hinaus. In dem Gebiet, das die Linie umgrenzt, leben nach meiner groben Berechnung ungefähr 818 Millionen Menschen. Mit anderen Worten: Im Einflussbereich von Anopheles leucosphyrus ist rund ein Achtel der Weltbevölkerung zu Hause. Das Verbreitungsgebiet der Javaneraffen ist auf der Karte als gestrichelte Linie eingetragen: Es umfasst nahezu die gleichen Regionen wie das der Mücken, ist aber nicht ganz
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