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Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
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jährliche Ball der Klinik statt. Er lief mehr oder weniger so ab wie vorgesehen, aber Brenda Ang und einige Kollegen saßen an halb leeren Tischen und fragten sich: Wo ist Leo Yee Sin, wo ist dieser Kollege, wo jene Kollegin? Nun, sie waren notgedrungen abwesend – sie schoben im Krankenhaus Betten und andere Möbelstücke hin und her, um alles auf den Notfall vorzubereiten. Ang selbst packte am Samstagvormittag wieder mit an.
    In ihrer Eigenschaft als Leiterin der Infektionsbekämpfung ordnete Ang an, dass alle Mitarbeiter Kittel, Gummihandschuhe und N95-Gesichtsmasken mit hoher Filterwirkung trugen; diese Masken liegen enger am Gesicht an als jene, die in der Chirurgie verwendet werden. Aber es gab zu wenige davon, und auf dem Schwarzmarkt stieg der Preis für N95-Masken in Singapur von zwei auf acht Dollar das Stück. Dennoch taten sie alles, was in ihren Kräften stand. Am 23. März – die Krankheit hatte mittlerweile einen international anerkannten Namen – wurde das Tan Tock Seng Hospital für Singapur als SARS -Spezialklinik ausgewiesen, und alle Patienten aus anderen Krankenhäusern wurden hierher verlegt. Der Besucherverkehr wurde eingeschränkt. Das Personal trug Masken, Handschuhe und Kittel.
    Aber noch bevor die Isolations- und Schutzmaßnahmen vollständig umgesetzt waren, kam es zu einem weiteren Superverbreiter-Ereignis, dieses Mal auf der kardiologischen Station der Klinik. Eine Frau mittleren Alters mit mehreren Gesundheitsstörungen, darunter Diabetes und einem Herzleiden, war in eine der offenen Stationen aufgenommen worden; dort steckte sie sich bei einer Pflegekraft an, die sich ihrerseits bei Esther Mok infiziert hatte. Als die ältere Frau anschließend einen Herzinfarkt erlitt, wurde sie auf die kardiologische Station verlegt. Die Symptome der atypischen Lungenentzündung waren noch nicht zu erkennen – jedenfalls nicht so deutlich, dass sie schwerer gewogen hätten als die Herzerkrankung. Auf der kardiologischen Station wurde sie von der Dienst habenden Kardiologin mit Unterstützung eines Assistenzarztes intubiert. Und wie bei dem »Giftkönig« in Guangzhou, so war auch hier die Intubation offenbar die Gelegenheit zur Übertragung. Am Ende infizierten sich auf der kardiologischen Station insgesamt 27 Personen, darunter fünf Ärzte, 13 Krankenschwestern, eine Ultraschallassistentin, zwei kardiologische Assistentinnen, ein anderer Mitarbeiter und fünf Besucher.
    38 World Health Organisation (2006), S. 257
    39 World Health Organisation (2006), S. 259–260
    40 Abraham (2007), S. 30
    41 Abraham (2007), S. 34
    42 Lloyd-Smith et al. (2005), S. 355
    43 Abraham (2007), S. 37



Ein anderer junger Arzt erkrankte ebenfalls, der bereits erwähnte Assistent von Brenda Ang, der bei Esther Mok einen Rachenabstrich entnommen hatte. In seiner Geschichte spiegelt sich die wachsende Erkenntnis wider, dass dieses Krankheitsbild von einem äußerst ansteckenden Erreger – vielleicht einem Bakterium, vielleicht auch einem Virus – hervorgerufen wurde, der sich bei unmittelbarem Kontakt insbesondere unter beengten Verhältnissen oder bei engem Körperkontakt leicht ausbreitete. Wenige Tage nachdem der junge Assistent Ang bei der Untersuchung von Mok zur Hand gegangen war, bestieg er ein Flugzeug. Er flog zu einer Tagung über Infektionskrankheiten nach New York, von Singapur eine Flugreise von 24 Stunden; dort fühlte er sich plötzlich krank. Bevor er sich über Frankfurt auf den Heimflug machte, rief er einen Kollegen in Singapur an und erwähnte, er fühle sich nicht wohl. Der Kollege alarmierte zu Hause die Behörden, die alarmierten die WHO , die wiederum alarmierten die deutschen Behörden, und die passten das Flugzeug ab: Als es in Frankfurt gelandet war, nahmen sie den Arzt in Quarantäne. Fast drei Wochen verbrachte er in einer Frankfurter Klinik; bei ihm waren seine Ehefrau und seine Schwiegermutter, die mittlerweile ebenfalls erkrankt waren. Auch ein Mitglied der Flugzeugbesatzung – aber nur eines – hatte sich angesteckt. Die »Frankfurter Patienten« überlebten alle.
    In Singapur bemühten sich mittlerweile Mediziner und Behörden gemeinsam darum, die weitere Übertragung zu verhindern. Sie ergriffen strenge Maßnahmen, die weit über die Krankenhäuser hinausgingen: Zwangsquarantäne für Verdachtsfälle, Geld- und Haftstrafen für Quarantänebrecher, Schließung eines großen öffentlichen Marktes, Schulschließungen, tägliches Fiebermessen bei Taxifahrern. Damit brachte man die

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