Spillover
Epidemie zum Stehen. Singapur ist aber eine untypische Stadt: Sie wird streng regiert und ist (vorsichtig ausgedrückt) sehr ordentlich; deshalb konnte man selbst mit einer so bedrohlichen atypischen Lungenentzündung relativ gut zurechtkommen. Am 20. Mai 2003 wurden elf Personen vor Gericht gestellt und zu einer Geldstrafe von jeweils 300 Dollar verurteilt, weil sie auf die Straße gespuckt hatten.
Mitte Juli, als der letzte SARS -Patient aus dem Tan Tock Seng Hospital entlassen wurde, hatte man mehr als 200 Fälle registriert. Von den Betroffenen waren 33 gestorben, darunter der Vater von Esther Mok, ihr Pastor, ihre Mutter und ihr Onkel in dieser Reihenfolge. Esther selbst überlebte.
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Fieberhafte Fahndung
Tot oder genesen, alle waren infiziert gewesen – aber womit?
Während sich die Krankheit weltweit ausbreitete, arbeiteten Wissenschaftler auf drei Kontinenten in ihren Labors mit Gewebeproben, Blut, Schleim, Exkrementen und anderem unappetitlichen Material, das man diesem oder jenem Patienten entnommen hatte. Alle bemühten sich darum, einen Erreger zu isolieren und zu identifizieren. Schon in dem Namen SARS , den man in dieser Frühzeit geprägt hatte, spiegelt sich die Tatsache wider, dass man den Erreger nur aufgrund seiner Wirkungen kannte. Ganz als würde man von einem unsichtbaren Ungeheuer nur die Fußspuren finden. Ebola ist ein Virus. Hendra ist ein Virus. Nipah ist ein Virus. SARS ist ein Krankheitsbild.
Die Suche nach dem SARS -Erreger wurde in den Labors mit großer Dringlichkeit vorangetrieben, aber auch durch einige verwirrende Signale und falsche Spuren behindert. Zunächst einmal sahen die Symptome ein wenig zu stark nach Influenza aus – oder genauer gesagt, nach Influenza in ihrer schlimmsten Gestalt. Die Influenza in ihrer schlimmsten Gestalt ist die sogenannte Vogelgrippe: Sie wird von einem Virus namens H5N1 verursacht, mit dem man insbesondere in Hongkong schon ein halbes Dutzend Jahre vorher beängstigende Erfahrungen gesammelt hatte. Damals hatten sich 18 Menschen mit dem von Hausgeflügel übergesprungenen Erreger infiziert. Das hört sich nicht nach einer sonderlich großen Patientenzahl an; beängstigend war aber, dass sechs der 18 Betroffenen gestorben waren. Die Gesundheitsbehörden hatten schnell reagiert und die Schließung der Märkte für lebendes Geflügel sowie die Tötung aller Hühner in Hongkong angeordnet – insgesamt 1,5 Millionen zum Tode verurteilte, kreischende Vögel. Anschließend folgte eine siebenwöchige Sperre für die Dekontaminierung. Mit diesen drakonischen Maßnahmen in Verbindung mit der Tatsache, dass H5N1 nur von Vögeln zu Menschen, aber kaum von Mensch zu Mensch weitergegeben wird, hatte man Erfolg: Ende 1997 war die Epidemie in Hongkong vorüber. Aber im Februar 2003, gerade als sich die beunruhigenden Gerüchte über »eine seltsame, ansteckende Krankheit« per E-Mail und SMS von Guangdong aus verbreiteten, schlug auch die Vogelgrippe in Hongkong wieder zu. 44 Sie war etwas ganz anderes als die SARS -Epidemie, aber das war zu jener Zeit nicht ohne weiteres zu erkennen.
An der Vogelgrippe starb ein Mann von 33 Jahren, sein achtjähriger Sohn erkrankte zwar, blieb aber am Leben. Vermutlich war sie auch die Todesursache bei der siebenjährigen Tochter des Mannes, die zwei Wochen zuvor während eines Familienbesuches in Fujian, der chinesischen Provinz unmittelbar nordöstlich von Guangdong, an einer Krankheit gestorben war, die einer Lungenentzündung ähnelte. Vermutlich hatte das kleine Mädchen zu engen Kontakt mit chinesischen Hühnern gehabt; bei ihrem Bruder war das seiner eigenen späteren Aussage zufolge eindeutig der Fall. Im Nasenschleim von Vater und Sohn hatte man H5N1 nachgewiesen, was darauf schließen ließ, dass die Fallberichte aus Guangdong möglicherweise ebenfalls mit der Vogelgrippe zu tun hatten. Also testeten die Wissenschaftler ihre SARS -Proben auf H5N1, aber das war ein Irrweg.
Ein anderer war die Vermutung, SARS könnte durch eine Form von Chlamydien verursacht werden. Zu dieser vielgestaltigen Bakteriengruppe gehören auch zwei Formen, die bei Menschen Atemwegserkrankungen hervorrufen (und eine weitere, die vor allem bei Teenagern bekannt ist und sexuell übertragen wird). Eine der Atemwegs-Chlamydienarten ist zoonotisch: Sie springt von Vögeln, insbesondere von Hauspapageien, auf Menschen über. Ende Februar fand ein sehr angesehener chinesischer Mikrobiologe in einigen SARS -Proben Erreger, die nach Chlamydien
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