Spin
vernachlässigenswerten 0,1 Prozent, und Jasons Fall wurde durch seine AMS verkompliziert.
Ohne Behandlung jedoch fiel die Prognose für Jason noch schlechter aus. Und er würde die Sache in jedem Fall durchziehen, ob ich nun zustimmte oder nicht – der verordnende Arzt war in gewissem Sinne Wun Ngo Wen, nicht ich; meine Rolle bestand letztlich darin, das Verfahren zu überwachen und etwaige Nebenwirkungen zu behandeln. Mit diesem Gedanken beruhigte ich mein Gewissen, obwohl er vor Gericht schwerlich Bestand gehabt hätte – Wun mochte das Medikament zwar »verschrieben« haben, aber es war nicht seine Hand, die es in Jasons Körper einführen würde. Sondern meine.
Wun würde nicht einmal anwesend sein. Jason hatte für Ende November, Anfang Dezember einen dreiwöchigen Urlaub angemeldet, einem Zeitpunkt, an dem Wun bereits weltberühmt sein würde, an dem jeder seinen Namen – so ungewöhnlich er war – kennen würde. Der Marsianer würde vor den Vereinten Nationen sprechen und sich an der Gastlichkeit von Monarchen, Mullahs, Präsidenten und Premierministern erfreuen, während sich Jason schwitzend und kotzend auf den Weg der Besserung machte.
Dazu benötigten wir einen geeigneten Ort. Einen Ort, an dem er krank sein konnte, ohne aufzufallen; wo ich ihn versorgen konnte, ohne unerwünschte Aufmerksamkeit zu erregen; einen Ort aber auch, an dem man einen Rettungswagen rufen konnte, falls irgendetwas schief lief. Irgendwo, wo man sich einrichten konnte. Wo es ruhig war.
»Ich weiß den idealen Ort«, sagte Jason.
»Und wo?«
»Im Großen Haus.«
Ich lachte, doch dann merkte ich, dass es ihm ernst damit war.
Erst in der Woche nach Lomax’ Besuch bei Perihelion meldete sich Diane wieder, die Woche, nachdem Molly die Stadt verlassen hatte, um die Belohnung zu empfangen, die ihr von E. D. Lawton versprochen worden war.
Sonntagnachmittag. Ich saß allein in meinem Haus. Ein sonniger Tag, doch die Jalousien waren heruntergezogen. Schon die ganze Woche über, während ich meine Zeit zwischen den regulären Behandlungen und verschwiegenen Tutorien mit Wun und Jase aufteilte, hatte ich der Leere dieses Wochenendes in die Augen gestarrt. Es ist gut, beschäftigt zu sein, sagte ich mir, denn wenn man beschäftigt ist, kann man sich in die unzähligen, aber verstehbaren Probleme des Alltags versenken, die den Schmerz verdrängen und die Reue ersticken. Das war durchaus gesund. Das war Teil der »Bewältigung«. Oder jedenfalls eine notwendige Verzögerungstaktik. Nützlich – aber nur vorübergehend wirksam. Denn früher oder später verklingt der Lärm, der Trubel verstreut sich und du gehst nach Hause, wo die ausgebrannte Glühbirne auf dich wartet, das leere Zimmer, das ungemachte Bett.
Es war ganz schön übel. Ich war mir nicht einmal sicher, was ich empfinden, oder besser: welchem der widersprüchlichen und miteinander nicht zu vereinbarenden Schmerzzustände ich zuerst ins Auge blicken sollte. »Ohne sie bist du besser dran«, hatte Jason wiederholt gesagt, und das war immerhin ebenso zutreffend wie banal: Besser dran ohne sie – aber noch besser wäre es gewesen, wenn ich aus ihr schlau geworden wäre, wenn ich hätte erkennen können, ob Molly mich benutzt oder mich dafür bestraft hatte, dass ich sie benutzte, ob meine kühle und vielleicht etwas gefälschte Liebe sich auf dem gleichen Niveau bewegte wie ihre so eisige wie lohnenswerte Absage an sie.
Dann klingelte das Telefon, gerade als ich die Laken und Decken von meinem Bett riss und für einen Besuch im Waschraum zusammenpackte, wo ihnen mit großen Mengen Waschpulver und heißem Wasser Mollys Aura ausgetrieben werden sollte. Bei so einer Tätigkeit will man eigentlich nicht gestört werden, es macht einen doch ein ganz klein bisschen verlegen. Aber es war mir einfach nicht gegeben, ein klingelndes Telefon zu ignorieren. Also ging ich ran.
»Tyler?«, sagte Diane. »Bist du allein?«
Ja, war ich.
»Gut, ich bin froh, dass ich dich endlich erwische. Ich wollte dir nämlich sagen, dass wir unsere Telefonnummer wechseln. Wir lassen uns aus dem Verzeichnis streichen. Aber für den Fall, dass du mich dringend erreichen musst…«
Sie gab mir ihre Nummer, ich kritzelte sie auf eine Serviette. »Warum lasst ihr euch aus dem Verzeichnis streichen?« Sie und Simon hatten gerade mal einen einzigen Festnetzanschluss, was, so meine Vermutung, eine Art Buße war, so ähnlich wie Wollsachen tragen oder Vollkornprodukte essen.
»Na ja, zuletzt haben
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