Spin
den Tagen vor der Wahl machte Wun Ngo Wen uns mit der Prozedur und den damit verbundenen Risiken vertraut. Sich mit dem Marsianer zu besprechen, war nicht leicht. Das Problem dabei war weniger das ihn umgebende Sicherheitsnetz – obwohl auch das schwer genug zu überwinden war – als die unzähligen Analytiker und Spezialisten, die sich an seinen Archiven labten wie Kolibris am Nektar. Allesamt angesehene Gelehrte, vom FBI und vom Heimatschutzministerium auf Herz und Nieren überprüft, zur (jedenfalls befristeten) Geheimhaltung verpflichtet und fasziniert vom riesigen Umfang des marsianischen Wissens, das Wun mit auf die Erde gebracht hatte. Ausgedruckt belief sich das Material auf über fünfhundert jeweils tausendseitige Bände Astronomie, Biologie, Mathematik, Physik, Medizin, Geschichte und Technik, vieles davon dem terrestrischen Wissen um ein Beträchtliches voraus. Wäre der gesamte Bestand der Bibliothek von Alexandria mittels Zeitmaschine geborgen worden – der Futterstreit innerhalb der akademischen Welt hätte kaum heftiger ausfallen können.
Diese Leute standen unter dem Druck, ihre Arbeit vor der offiziellen Bekanntgabe von Wuns Anwesenheit abschließen zu müssen. Die Regierung wollte die Archive – vieles davon war in einer als englisch erkennbaren Sprache, einiges aber auch im marsianischen Wissenschaftsjargon abgefasst – wenigstens grob indexiert haben, bevor andere Staaten die Forderung nach gleichberechtigtem Zugang erhoben. Das Außenministerium plante, redigierte Kopien zu verteilen, aus denen potenziell wertvolle oder gefährliche technologische Erörterungen herausgenommen waren oder »in Zusammenfassung präsentiert« wurden, während die Originale unter strengstem Verschluss blieben.
Und so kämpften ganze Kohorten von Wissenschaftlern um Zugang zu Wun – der etwaige Lücken in den marsianischen Texten erläutern oder füllen konnte – und wachten eifersüchtig darüber, dass ihnen kein Unbefugter in die Quere kam. Mehrmals kam es vor, dass ich von hysterisch höflichen Männern und Frauen aus der »Hochenergiephysik-Gruppe« oder der »Molekularbiologie-Gruppe«, die ihre vereinbarte Viertelstunde einforderten, aus Wuns Räumen verscheucht wurde. Manchmal stellte Wun mich diesen Leuten vor, aber keiner von ihnen legte großen Wert auf meine Bekanntschaft und die Leiterin der für die medizinischen Wissenschaften zuständigen Gruppe bekam vor Schreck beinahe Herzrasen, als der Marsianer verkündete, er habe mich zu seinem persönlichen Arzt erkoren.
Jason beschwichtigte die Wissenschaftler ein wenig, indem er erklärte, dass Wuns Kontakt zu mir Teil des »Sozialisationsprozesses« sei, der Versuch, sich an terrestrische Gepflogenheiten außerhalb der Welt von Politik oder Wissenschaft anzupassen, und ich meinerseits versprach der medizinischen Leiterin, dass ich Wun keiner ärztlichen Behandlung unterziehen würde, ohne mit ihr Rücksprache zu halten. Ein Gerücht verbreitete sich unter den Forschern, wonach ich einfach nur irgendein Zivilist war, der sich mit Schmeicheleien Zugang zu Wuns engstem Kreis verschafft hatte und einen fetten Buchvertrag zu ergattern hoffte, sobald Wuns Existenz öffentlich bekannt war. Das Gerücht entstand spontan, ohne unser Zutun, aber wir taten auch nichts, um ihm entgegenzutreten; es diente unseren Zwecken.
An die Pharmazeutika heranzukommen, war dagegen leichter, als ich erwartet hatte. Wun war mit einem marsianischen Arzneimittelvorrat auf der Erde eingetroffen. Keines dieser Medikamente besaß ein terrestrisches Gegenstück, und jedes davon, behauptete Wun, könnte irgendwann einmal für ihn wichtig werden. Die medizinische Ausrüstung war nach der Landung konfisziert, ihm jedoch wieder ausgehändigt worden, nachdem er den Status eines Gesandten erlangt hatte. (Natürlich hatte die Regierung Proben entnehmen lassen, doch Wun glaubte nicht, dass eine Analyse mit den hiesigen Mitteln den Verwendungszweck auch nur einer einzigen dieser synthetischen Substanzen enthüllen würde.) Er stellte Jason also einfach einige Reagenzgläser mit reinem Arzneistoff zur Verfügung, und Jason trug diese, durch seine Stellung vor argwöhnischen Fragen geschützt, aus dem Perihelion-Gebäude heraus.
Wun instruierte mich über Dosierung, zeitliche Steuerung, Gegenindikationen und mögliche Probleme. Ich war entsetzt über die lange Liste der Risiken. Selbst auf dem Mars, so Wun, lag die Sterblichkeitsrate beim Übergang zum Vierten Alter bei keineswegs
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