Spin
noch recht früh, als wir fertig waren, die Sonne verweilte im Westen, die Mücken bereiteten sich erst noch auf ihre abendliche Aktivität vor. Der Wind hatte sich gelegt, in der abkühlenden Luft lag etwas zart Gedämpftes.
Anderswo allerdings überschlugen sich die Ereignisse.
Was wir nicht wussten – was selbst Jason, trotz all seiner tollen Beziehungen, noch nicht wusste –, war, dass zwischen dem ersten Bissen Hühnerfleisch und dem letzten Löffel Dreibohnensalat die Chinesen die Verhandlungen abgebrochen und den sofortigen Start eines mit thermonuklearen Sprengköpfen ausgestatteten Gespanns von Dong-Feng-Raketen angeordnet hatten. Die Flugkörper waren ungefähr im selben Moment aufgestiegen, als wir die zweite Runde Heineken aus der Kühltasche gezogen hatten, eisig grüne, raketenförmige Flaschen, von denen das Schwitzwasser tropfte.
Wir räumten den Tisch frei. Ich erwähnte die verschlissenen Zündkerzen und meinen Plan, am nächsten Morgen mit Simon in die Stadt zu fahren. Diane flüsterte ihrem Bruder etwas zu, dann, nach einer gewissen Pause, stieß sie ihn mit dem Ellbogen an. Jason nickte, wandte sich an Simon und sagte: »Gleich hinter Stockbridge gibt es einen von diesen Automobilgroßmärkten, der bis neun geöffnet hat. Wie wär’s, wenn wir da jetzt gleich hinfahren?«
Es war ein Friedensangebot, wie widerwillig auch immer. Simon erholte sich ziemlich schnell von seiner Überraschung und erwiderte: »Ich werde ganz bestimmt keine Fahrt in diesem Ferrari da ausschlagen, falls es das ist, was du mir anbietest.«
»Ich kann dir gern zeigen, was er so alles hergibt.« Beschwichtigt von der Aussicht, mit seinem Auto angeben zu können, ging Jason ins Haus, um seine Schlüssel zu holen. Simon warf uns einen Na-Donnerwetter-Blick zu, dann folgte er ihm. Ich sah Diane an. Sie grinste, stolz auf diesen Triumph der Diplomatie.
Anderswo näherten sich die Dong-Feng-Raketen der Spin-Barriere, passierten sie und flogen auf ihre programmierten Ziele zu. Seltsam die Vorstellung, wie sie über eine plötzlich dunkle, kalte, bewegungslose Erde hinwegschossen, allein ihrer Programmierung folgten, sich auf die gesichtslosen Artefakte ausrichteten, die hunderte von Kilometern über den Polen hingen.
Wie die Aufführung eines Dramas ohne Publikum, zu schnell für das menschliche Auge.
Der Konsens – hinterher – ging dahin, dass die Explosion der chinesischen Sprengköpfe keine Auswirkung auf den ungleichen Zeitfluss gezeitigt hätte. Was dagegen betroffen war (und zwar erheblich), das war der visuelle Filter, der die Erde umgab. Nicht zu reden von der menschlichen Wahrnehmung des Spins.
Wie Jason schon vor Jahren erläutert hatte, bedeutete das temporale Gefälle, dass gewaltige Mengen blauverschobener Strahlung die Oberfläche unseres Planeten überschwemmt hätten, wenn sie nicht von den Hypothetischen gefiltert und kontrolliert worden wäre. Mehr als drei Jahre Sonnenschein auf jede vergehende Sekunde: genug, um alles Leben auf der Erde auszurotten, genug, um den Boden unfruchtbar zu machen und die Meere zum Kochen zu bringen. Die Hypothetischen, die den zeitlichen Einschluss der Erde ins Werk gesetzt hatten, hatten uns auch vor dessen tödlichen Nebenwirkungen geschützt. Mehr noch, sie kontrollierten nicht nur, wie viel Energie zur Erde gelangte, sondern auch, wie viel von der Hitze und dem Licht des Planeten in den Weltraum zurückgestrahlt wurde. Vielleicht war das der Grund dafür, dass das Wetter in den letzten Jahren so angenehm… durchschnittlich gewesen war.
Der Himmel über den Berkshires jedenfalls war so ungetrübt wie Waterford-Kristall, als die chinesischen Sprengköpfe ihr Ziel erreichten, um 19:55 Uhr Ostküstenzeit.
Ich saß mit Diane im Wohnzimmer, als das Telefon klingelte.
Hatten wir vor Jasons Anruf irgendetwas bemerkt? Eine Veränderung des Lichts, so unauffällig wie das Gefühl, eine Wolke hätte sich vor die Sonne geschoben? Nein. Nichts. Meine ganze Aufmerksamkeit war auf Diane gerichtet. Wir schlürften Mixgetränke und redeten über Lappalien: Bücher, die wir gelesen, Filme, die wir gesehen hatten. Die Unterhaltung war elektrisierend, nicht wegen der Themen, um die es ging, sondern wegen des Tonfalls, wegen dieses bestimmten Rhythmus, in den wir verfielen, sobald wir allein waren, jetzt wie früher. Jedes Gespräch zwischen Freunden oder Liebenden schafft sich seinen eigenen fließenden oder stockenden Rhythmus, verborgenes Sprechen, das wie ein
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