Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spin

Spin

Titel: Spin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
waren auch kein Spaß: Gelenkschmerzen, Gelbsucht, Ausschlag – sofern man mit »Ausschlag« den Vorgang bezeichnen will, bei dem einem die Haut abpellt, Schicht um Schicht, und rohes Fleisch, fast wie eine offene Wunde, freigelegt wird. In einigen Nächten schlief ich vier oder fünf Stunden – fünf war der Rekord, glaube ich –, bevor ich in einem Brei von Hautpartikeln aufwachte, die Diane dann aus dem blutverschmierten Bett entfernte, während ich mich wie ein Arthritiker solange auf einen Stuhl setzte.
    Ich begann selbst meinen klarsten Momenten zu misstrauen. Denn oft war das, was ich empfand, eine rein halluzinatorische Klarheit: die Welt überhell und extrem scharf in ihren Konturen, Worte und Erinnerungen wie die Zahnräder eines durchdrehenden Motors. Schlimm für mich. Schlimmer noch vielleicht für Diane, die Bettschüsseldienste verrichten musste in der Zeit, in der ich inkontinent war. In gewisser Weise erwiderte sie damit einen Gefallen. Ich war bei ihr gewesen, als sie diese Quälerei selbst durchlebt hatte. Aber das war viele Jahre her.
     
    Meistens schlief sie nachts neben mir, obwohl ich nicht weiß, wie sie das aushielt. Sie hielt sorgsam Abstand – manchmal war schon der Druck des Baumwolllakens so schmerzhaft, dass mir die Tränen kamen –, aber allein ihre Gegenwart war beruhigend.
    In den wirklich schlimmen Nächten, wenn man damit rechnen musste, dass ich um mich schlug und ihr dabei wehtun konnte, rollte sie sich auf der Couch neben der Balkontür zusammen.
    Sie erzählte nicht viel über ihre Ausflüge nach Padang. Ich hatte eine annähernde Vorstellung davon, was sie dort machte: Kontakte knüpfen zu Zahl- und Frachtmeistern, die Kosten und Bedingungen für einen Transit auskundschaften. Gefährliche Arbeit. Wenn es etwas gab, das mir mehr zu schaffen machte als die Wirkungen der Droge, dann war es das Wissen darum, dass Diane in einer potenziell gewalttätigen asiatischen Halbwelt herumzog, mit nicht mehr Schutz als einer Dose Tränengas und ihrem beträchtlichen Mut.
    Aber selbst dieses Risiko war besser, als aufgegriffen zu werden.
    Sie – die Agenten der Regierung Chaykin oder ihrer Verbündeten in Jakarta – waren aus einer Reihe von Gründen an uns interessiert. Wegen des Präparats natürlich, aber, wichtiger noch, auch wegen diverser digitaler Kopien der marsianischen Archive, die wir mit uns führten. Und herzlich gern hätten sie uns auch über Jasons letzte Stunden befragt: über den Monolog, den ich mitgehört und aufgezeichnet hatte, über all das, was er mir über das Wesen der Hypothetischen und des Spins erzählt hatte. Wissen, das nur Jason besessen hatte.
     
    Ich schlief und erwachte, und sie war nicht mehr da.
    Eine Stunde brachte ich damit zu, die Bewegung der Balkonvorhänge zu beobachten, sah das Sonnenlicht den sichtbaren Fuß des Torbogens emporwandern und träumte dabei von den Seychellen.
    Schon mal auf den Seychellen gewesen? Ich auch nicht. Was in meinem Kopf ablief, war ein alter Dokumentarfilm, den ich früher auf PBS gesehen hatte. Die Seychellen sind tropische Inseln, Heimat von Schildkröten und der Coco de Mer und einem Dutzend verschiedener seltener Vogelarten. Geologisch gesehen sind sie das, was von dem Kontinent übrig geblieben ist, der einst Asien und Südamerika miteinander verband, lange vor der Entwicklung des modernen Menschen.
    Träume, hatte Diane einmal gesagt, seien wild gewordene Metaphern. Der Grund, warum ich von den Seychellen träumte (ich stellte mir vor, wie sie es mir erklärte), war, dass ich mich versunken fühlte, uralt, ausgestorben.
    Wie ein untergegangener Kontinent, überflutet in der Erwartung meiner eigenen Verwandlung.
     
    Ich schlief wieder ein, erwachte, und sie war immer noch nicht da.
     
    Wachte im Dunkeln auf, noch immer allein, und wusste, dass mittlerweile zu viel Zeit vergangen war. Schlechtes Zeichen. Bisher war Diane immer vor Anbruch der Dunkelheit zurückgekehrt.
    Ich hatte mich im Schlaf heftig gewälzt. Das Baumwolllaken lag zerknüllt auf der Erde, kaum zu erkennen im von der Gipsdecke reflektierten Licht, das von der Straße hereinfiel. Mir war kalt, aber ich war zu wund, um mich hinunterzubeugen und es wieder aufzuheben.
    Der Himmel draußen war außerordentlich klar. Wenn ich die Zähne zusammenbiss und meinen Kopf nach links neigte, konnte ich durch die Balkontür einige helle Sterne sehen. Ich unterhielt mich mit dem Gedanken, dass einige dieser Sterne jünger waren als ich.
    Ich versuchte,

Weitere Kostenlose Bücher