Spin
Angst, dass E. D. sie hier finden würde. Lauter als im Flüsterton wollte sie nicht sprechen. Aber auch sie hatte Jason etwas mitgebracht. Kein Hühnerbein, sondern einen kleinen drahtlosen Internetbrowser.
Jasons Gesicht hellte sich auf, als er das sah. »Diane!«, rief er.
Sie bedeutete ihm ruhig zu sein und lächelte nervös in meine Richtung. »Es ist nur so ein Gadget«, flüsterte sie und nickte uns beiden zu, bevor sie wieder nach draußen schlüpfte.
»Sie weiß es besser«, sagte Jason, als sie weg war. »Das Gadget ist trivial. Aber das Netzwerk, das ist nützlich. Es geht nicht um die technische Spielerei, sondern um das Netz.«
Innerhalb einer Stunde hatte er Verbindung mit einer Gruppe von Technikfreaks an der Westküste aufgenommen, die kleine Motoren für Wettkämpfe mit ferngesteuerten Robotern umbauten, und bis Mitternacht hatte er behelfsmäßige Reparaturen an dem einen Dutzend Schwachstellen des Rasenmähers vorgenommen. Ich verzog mich und beobachtete von meinem Zimmerfenster aus, wie er seinen Vater holte. E. D. kam in Pyjamas und offenem Flanellhemd aus dem Großen Haus gelatscht und sah mit verschränkten Armen zu, wie Jason den Mäher anließ, der darauf in einer für die Uhrzeit höchst unpassenden Weise losdröhnte. E. D. hörte es sich eine Weile an, zuckte dann mit den Achseln und forderte Jason auf, wieder mit ins Haus zu kommen.
Jason, der noch kurz an der Schuppentür verharrte, sah mein Licht über den Rasen hinweg und winkte mir unauffällig zu.
Natürlich waren es nur vorläufige Reparaturen. Der Gärtner mit den Gauloises tauchte am darauffolgenden Mittwoch wieder auf und hatte ungefähr die Hälfte des Rasens gemäht, als der Mäher aussetzte und endgültig den Geist aufgab. Aus dem Schatten der Bäume heraus lauschend, lernten wir mindestens ein Dutzend flämische Schimpfwörter. Jason, der ein nahezu eidetisches Gedächtnis hatte, fand besonderen Gefallen an der Wendung »Godverdomme mijn kloten miljardedju!« – wörtlich übersetzt (dem Holländisch-Englischen Wörterbuch in der Bibliothek der Rice Academy zufolge): »Gott verdamme meine Eier eine Milliarde Mal!«. In den folgenden Monaten benutzte er den Ausdruck jedes Mal, wenn ihm ein Schnürsenkel riss oder der Computer abstürzte.
Am Ende musste E. D. wohl oder übel in ein ganz neues Gerät investieren. Im Fachgeschäft teilte man ihm mit, dass eine Reparatur zu teuer wäre, es sei ein Wunder, dass das Ding überhaupt so lange durchgehalten habe. Ich erfuhr das von meiner Mutter, die es wiederum von Carol gehört hatte. Soviel ich weiß, hat E. D. die Angelegenheit später mit keinem Wort mehr erwähnt.
Jason und ich jedoch konnten uns noch ein paarmal darüber amüsieren – Monate später, als der Stachel gezogen war.
Als ich zum Bett zurückschlurfte, dachte ich an Diane, die ihrem Bruder ein Geschenk gemacht hatte, das nicht lediglich der Beschwichtigung diente, so wie meins, sondern das tatsächlich nützlich war. Aber wo war sie jetzt? Welches Geschenk würde sie mir bringen, mir meine Last zu erleichtern? Ihre bloße Gegenwart hätte mir schon genügt.
Tageslicht flutete in das Zimmer wie Wasser, wie ein leuchtender Fluss, in dem ich davontrieb, in dem ich langsam an den leeren Minuten ertrank.
Nicht jedes Delirium ist hell und hektisch. Manchmal ist es auch langsam, reptilienartig, kaltblütig. Ich beobachtete Schatten, die wie Eidechsen an den Zimmerwänden hochkrochen, und schon war eine Stunde vergangen. Noch einmal blinzeln, und die Nacht brach an, kein Sonnenlicht auf dem Torbogen, als ich meinen Kopf neigte, stattdessen dunkler Himmel, tropische Regenwolken, Blitze, nicht zu unterscheiden von den durchs Fieber erzeugten visuellen Stacheln, aber unverkennbarer Donner und plötzlich ein mineralischer Geruch von draußen, das Geräusch von Regentropfen, die auf den Beton des Balkons klatschten.
Und schließlich noch ein anderes Geräusch: eine Karte im Türschloss, das Quietschen der Angeln.
»Diane«, sagte ich (oder flüsterte ich, krächzte ich).
Sie kam ins Zimmer. Sie trug Straßenkleidung, eine Überjacke mit Lederapplikation und einen breitkrempigen Hut, von dem das Regenwasser tropfte. Sie stand neben meinem Bett.
»Es tut mir Leid«, sagte sie.
»Brauchst dich nicht zu entschuldigen. Nur…«
»Ich meine, tut mir Leid, Tyler, aber du musst dich anziehen. Wir müssen hier weg. Sofort. Unten wartet ein Taxi.«
Ich brauchte eine Weile, um diese Information zu verarbeiten.
Weitere Kostenlose Bücher