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Spin

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Titel: Spin Kostenlos Bücher Online Lesen
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Titan- und Deltaschablonen, kein Gramm oder Mikrochip komplizierter als unbedingt nötig, und als der Winter in den Frühling überging, da bevölkerten sie ihre Rampen in geradezu beängstigender Anzahl, wie Baumwollhülsen vor dem Aufplatzen, auf dem Sprung, einem fernen, sterilen Boden Leben zuzuführen.
    In gewissem Sinne herrschte auch Frühling im ganzen Sonnensystem – oder jedenfalls ein verlängerter Altweibersommer. Die bewohnbare Zone breitete sich nach außen aus, während die Sonne ihren Heliumkern erschöpfte, umfasste nach und nach den Mars, wie sie später auch den wasserhaltigen Jupitermond Ganymed umfassen würde, ein weiteres potenzielles Objekt zur Terraformung. Auf dem Mars hatten im Laufe von Millionen von wärmenden Sommern gewaltige Massen von gefrorenem CO 2 und wässrigem Eis begonnen, in die Atmosphäre zu sublimieren. Zu Beginn des Spins hatte der atmosphärische Druck auf Bodenhöhe ungefähr acht Millibar betragen, die Luft war ähnlich dünn wie auf der Erde etwa fünf Kilometer über dem Gipfel des Mount Everest. Inzwischen hatte der Planet, selbst ohne menschliche Intervention, ein Klima entwickelt, das dem einer in Kohlendioxid getauchten arktischen Bergregion entsprach – nach marsianischen Maßstäben ausgesprochen milde.
    Und wir hatten die Absicht, diesen Prozess weiterzutreiben. Wollten die Luft des Planeten mit Sauerstoff anreichern, wollten seine Tiefebenen begrünen, wollten Teiche schaffen, wo gegenwärtig noch das periodisch tauende Eis in Geysire aus Wasserdampf ausbrach oder einen giftigen Schlamm bildete.
    Wir waren gefährlich optimistisch in diesem Winter der Startrampen.
     
    Am 3. März, kurz vor den geplanten ersten Saatgutstarts, rief Carol Lawton mich zu Hause an und berichtete mir, dass meine Mutter einen schweren Schlaganfall erlitten hätte und die Ärzte mit ihrem baldigen Tod rechneten.
    Ich organisierte eine Vertretung bei Perihelion, fuhr nach Orlando und buchte den ersten Flug am Morgen nach D.C.
    Carol holte mich am Reagan International ab, in offenbar nüchternem Zustand. Sie breitete die Arme aus, und ich schloss sie in meine, diese Frau, die mir in all den Jahren, in denen ich auf ihrem Grundstück gelebt hatte, nie anders als mit verwirrter Gleichgültigkeit begegnet war. Dann trat sie einen Schritt zurück und legte ihre zitternden Hände auf meine Schultern. »Es tut mir so Leid, Tyler.«
    »Lebt sie noch?«
    »Ja. Komm, draußen wartet ein Wagen auf uns. Wir können während der Fahrt reden.«
    Ich folgte ihr zu einem Auto, das wohl von E. D. zur Verfügung gestellt worden war, eine schwarze Limousine mit Regierungsplakette. Der Fahrer sprach kaum ein Wort, während er mein Gepäck in den Kofferraum lud, tippte sich lediglich an die Mütze, als ich ihm dankte. Nachdem wir eingestiegen waren, fuhr er, ohne erst eine entsprechende Anweisung entgegenzunehmen, in Richtung George-Washington- Universitätsklinik.
    Carol war dünner, als ich sie in Erinnerung hatte – sie versank wie ein Vogel in den Lederpolstern. Sie zog ein Baumwolltaschentuch aus ihrer winzigen Handtasche und betupfte sich die Augen. »Dieses lächerliche Geheule. Gestern habe ich meine Kontaktlinsen verloren. Praktisch aus den Augen rausgeweint, das musst du dir mal vorstellen. Es gibt Dinge, die man als selbstverständlich betrachtet. Für mich war es die Tatsache, dass ich deine Mutter im Haus hatte, die für Ordnung sorgte. Oder einfach das Wissen, dass sie in der Nähe war, auf der anderen Seite des Rasens. Ich bin nachts immer aufgewacht – ich schlafe nicht sehr gut, was dich vermutlich nicht überraschen wird –, ich bin also nachts aufgewacht und hatte das Gefühl, die Welt sei zerbrechlich und ich könnte hindurchfallen, direkt durch den Fußboden durch, und ewig weiterfallen. Dann hab ich immer an sie gedacht, drüben im Kleinen Haus, mit ihrem gesunden Schlaf, tief und fest. Es war wie ein gerichtsverwertbarer Beweis. Beweisstück A, Belinda Dupree, oder: es gibt einen inneren Frieden. Sie war der Grundpfeiler des ganzen Haushalts, Tyler, ob du es gewusst hast oder nicht.«
    Vermutlich hatte ich es gewusst. Im Grunde war alles ein und derselbe Haushalt gewesen, wenn ich auch als Kind vorwiegend die Unterschiede wahrgenommen hatte: mein Haus, bescheiden, aber ruhig und friedlich, und das Große Haus, wo die Spielsachen teurer, die Auseinandersetzungen aber auch heftiger waren.
    Ich fragte sie, ob E. D. im Krankenhaus gewesen sei.
    »E. D.? Nein, der hat zu tun. Um

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