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Spin

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Titel: Spin Kostenlos Bücher Online Lesen
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ANDENKEN (MARCUS). Ich war nie besonders neugierig gewesen, was meinen Vater betraf, und meine Mutter hatte auch nicht viel über ihn erzählt, nichts was über ein paar dürre persönliche Merkmale hinausging: ein gut aussehender Mann, Ingenieur von Beruf, sammelte Jazzplatten, E. D.s bester Freund auf dem College, aber ein schwerer Trinker und schließlich, eines Nachts auf der Heimfahrt von einem Elektroniklieferanten in Milpitas, ein Opfer seiner Leidenschaft für schnelle Autos. In dem Karton befand sich ein Packen Briefe in Pergamentumschlägen, adressiert in einer schnörkellosen, sauberen Handschrift, die ihm gehört haben musste. Er hatte die Briefe an Belinda Sutton geschrieben, der Mädchenname meiner Mutter, an eine Adresse in Berkeley, die mir nichts sagte.
    Ich öffnete einen der Umschläge, zog den vergilbten Bogen Papier heraus und faltete ihn auseinander.
    Es war unliniertes Papier, aber die Handschrift zog sich dennoch in kurzen, sehr ordentlichen Parallelen über die Seite. Liebe Bel, las ich. Ich dachte, gestern Abend, am Telefon hätte ich bereits alles gesagt, aber ich kann nicht aufhören, an Dich zu denken. Dies zu schreiben ist so, als seist du mir näher, wenn auch nicht so nahe, wie ich mir wünschen würde. Nicht so nahe wie im letzten August! Jede Nacht, in der ich mich nicht neben dich legen kann, spiel ich mir diese Erinnerung vor wie ein Videoband.
    Es folgte noch mehr, aber ich las nicht weiter. Ich faltete den Brief zusammen und steckte ihn in seinen Umschlag zurück, machte den Karton zu und stellte ihn dahin, wo er hingehörte.
     
    Am nächsten Morgen klopfte es an der Tür. Ich öffnete sie in der Erwartung, Carol oder einen Bediensteten aus dem Großen Haus vor mir zu sehen.
    Aber es war nicht Carol. Es war Diane. Diane in einem mitternachtsblauen bodenlangen Rock und einer Bluse mit hohem Kragen. Sie rang die Hände unter der Brust und sah mich mit funkelnden Augen an. »Es tut mir so Leid«, sagte sie. »Ich bin sofort gekommen, als ich davon hörte.«
    Aber zu spät. Zehn Minuten vorher hatte das Krankenhaus angerufen. Belinda Dupree war gestorben, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.
     
    Bei der Trauerfeier hielt E. D. eine kurze, eher verlegene Ansprache und sagte nichts von Bedeutung. Ich sprach, Diane sprach, Carol wollte eigentlich sprechen, war aber am Ende zu sehr in Tränen aufgelöst oder zu alkoholisiert, um die Kanzel zu besteigen.
    Dianes Rede war die bewegendste, angemessen und von Herzen kommend, ein Katalog der Freundlichkeiten, die meine Mutter über den Rasen exportiert hatte wie Geschenke aus einem reicheren, liebevolleren Land. Ich war ihr dankbar. Der Rest der Zeremonie wirkte im Vergleich dazu mechanisch: flüchtig bekannte Gesichter lösten sich aus der Menge, um Erbauliches oder Halbwahres aufzusagen, und ich dankte ihnen und lächelte, dankte ihnen und lächelte, bis es Zeit war, zum Grab zu gehen.
     
    Die Feier wurde am Abend mit einem Empfang im Großen Haus fortgesetzt, wo ich Beileidsbekundungen von E. D.s Geschäftspartnern, die ich alle nicht kannte, die aber zum Teil meinen Vater gekannt hatten, sowie von den Hausbediensteten entgegennahm, deren Trauer echter und schwerer zu ertragen war.
    Partyserviceleute schlängelten sich mit gefüllten Weingläsern auf Silbertabletts durch die Menge und ich trank mehr, als mir gut tat, bis Diane, die ebenfalls geschmeidig durch die Gästeschar geglitten war, mich von einer weiteren Runde »herzlicher Anteilnahme für Ihren schmerzlichen Verlust« fortzog und sagte: »Du brauchst frische Luft.«
    »Es ist kalt draußen.«
    »Wenn du so weitertrinkst, wirst du unleidlich. Bist schon auf dem besten Weg dazu. Komm, Ty. Nur ein paar Minuten.«
    Also raus auf den Rasen. Den braunen Mittwinterrasen. Den gleichen Rasen, auf dem wir vor fast zwanzig Jahren die Anfangsmomente des Spins erlebt hatten. Wir schritten den Umkreis des Großen Hauses ab, schlenderten eigentlich eher, trotz der steifen Märzbrise und des körnigen Schnees, der sich auf allen geschützten und schattigen Stellen gehalten hatte.
    Alles Naheliegende hatten wir bereits gesagt. Wir hatten biografische Daten abgeglichen: meine berufliche Laufbahn, der Umzug nach Florida, meine Arbeit bei Perihelion; ihr Leben mit Simon, der allmähliche Übergang von NK zu einer milderen Orthodoxie, die der Entrückung mit Frömmigkeit und Selbstzucht entgegensah. (»Wir essen kein Fleisch«, hatte sie mir anvertraut. »Wir tragen keine Kunstfasern.«

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