Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spin

Spin

Titel: Spin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Raumschiffe zum Mars zu schicken, muss man wohl ganz furchtbar oft in der Innenstadt essen gehen. Ich weiß, dass es das ist, was Jason in Florida festhält, aber ich glaube, Jason befasst sich mit der praktischen Seite der Angelegenheit – falls sie eine praktische Seite hat –, während E. D. mehr den Bühnenzauberer gibt, der das Geld aus allen möglichen Hüten zieht. Aber du wirst E. D. sicherlich bei der Beerdigung sehen.« Ich zuckte zusammen, worauf sie mich entschuldigend ansah. »Für den Fall, dass. Aber die Ärzte sagen…«
    »Dass sie sich nicht wieder erholen wird.«
    »Sie liegt im Sterben, ja. Das sag ich dir als Kollegin. Weißt du das noch, Tyler? Ich hatte mal eine Arztpraxis. Damals, als ich zu so etwas noch fähig war. Und jetzt bist du ein Arzt mit eigener Praxis. Mein Gott!«
    Ich war dankbar für ihre Direktheit. Vielleicht hatte es mit der ungewohnten Nüchternheit, der Ernüchterung, zu tun. Da war sie wieder in der hell erleuchteten Welt, der sie zwanzig Jahre lang aus dem Weg gegangen war, und musste feststellen, dass diese Welt noch immer genauso schrecklich war, wie sie sie in Erinnerung hatte.
    Wir betraten die Klinik. Carol hatte sich dem Pflegepersonal auf der Intensivstation bereits vorgestellt, daher gingen wir direkt zum Zimmer meiner Mutter. Als Carol an der Tür zögerte, sagte ich: »Kommen Sie mit rein?«
    »Ich – nein, ich glaube nicht. Ich habe mich schon einige Male verabschiedet. Ich muss mich irgendwo aufhalten, wo es nicht nach Desinfektionsmitteln riecht. Ich werde auf dem Parkplatz mit den Rollbahrenschiebern eine rauchen. Treffen wir uns da?«
    Ich nickte.
    Meine Mutter war ohne Bewusstsein; an lebenserhaltende Apparate angeschlossen, die Atmung von einer Maschine reguliert, die mit jedem Heben und Senken des Brustkorbs ächzte. Ihre Haare waren weißer, als ich sie in Erinnerung hatte. Ich streichelte ihre Wange, aber sie reagierte nicht.
    Aus einem fehlgeleiteten ärztlichen Instinkt heraus schob ich eins ihrer Augenlider nach oben, vermutlich mit der Absicht, die Erweiterung ihrer Pupillen zu kontrollieren. Aber sie hatte nach dem Schlaganfall Blutungen im Auge erlitten. Es war rot wie eine Kirschtomate.
     
    Ich verließ das Krankenhaus gemeinsam mit Carol, lehnte aber ihre Einladung zum Essen ab und erklärte, ich würde mir selbst etwas machen. Sie sagte: »Es ist bestimmt etwas in der Küche deiner Mutter, aber wenn du ins Große Haus kommen möchtest, bist du mehr als willkommen. Auch wenn es momentan etwas unordentlich ist, jetzt wo deine Mutter sich nicht mehr darum kümmern kann. Aber ich bin sicher, wir können dir noch ein passables Gästezimmer anbieten.«
    Ich bedankte mich, gab aber zu verstehen, dass ich lieber auf der anderen Seite des Rasens bleiben wolle.
    »Gib Bescheid, falls du deine Meinung änderst.« Sie starrte von der Kiesauffahrt über den Rasen hinweg zum Kleinen Haus, als würde sie es seit Jahren zum ersten Mal wieder klar sehen. »Hast du noch einen Schlüssel?«
    »Ja, hab ich.«
    »Also gut. Dann lass ich dich allein. Das Krankenhaus hat beide Nummern, falls sich ihr Zustand verändert.« Sie umarmte mich wieder und stieg die Verandastufen mit einer Entschlossenheit hinauf, die vermuten ließ, sie habe das Trinken jetzt lange genug aufgeschoben.
    Ich ging in das Haus meiner Mutter. Mehr ihres als meines, dachte ich, obwohl die Spuren meiner Anwesenheit nicht gelöscht worden waren. Als ich auf die Universität umgezogen war, hatte ich mein kleines Zimmer leergeräumt und alles eingepackt, was mir wichtig war, doch meine Mutter hatte das Bett stehen lassen und die entstandenen Lücken – die Holzregale, die Fensterbank – mit eingetopften Pflanzen aufgefüllt, die jetzt in ihrer Abwesenheit rasch eingingen. Ich goss sie erst einmal. Auch das übrige Haus war ordentlich und aufgeräumt. Diane hatte die haushälterische Tätigkeit meiner Mutter einmal als »linear« bezeichnet, womit sie wohl meinte: auf Ordnung bedacht, aber nicht besessen. Ich inspizierte das Wohnzimmer, die Küche, warf einen Blick in ihr Schlafzimmer. Nicht alles war an seinem Platz. Aber alles hatte seinen Platz.
    Bei Einbruch der Dunkelheit zog ich die Vorhänge zu und schaltete alle Lampen in allen Zimmern ein, machte mehr Licht, als meine Mutter je, zu welcher Zeit auch immer, für angemessen gehalten hatte. Es war eine Deklaration gegen den Tod. Ich fragte mich, ob Carol das Leuchten über die winterbraune Kluft hinweg bemerken, und wenn ja, ob sie es

Weitere Kostenlose Bücher