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Spin

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Titel: Spin Kostenlos Bücher Online Lesen
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erledigten, die wir das machten, was von uns erwartet wurde: das Spiel zu Ende spielen, als komme es darauf noch an.
     
    Jason traf am Mittag des folgenden Tages ein, zehn Stunden, bevor die erste Abschusswelle angesetzt war. Das Wetter war angenehm, heiter und windstill, ein gutes Omen. Unter all den über den Globus verteilten Raketenstartplätzen fiel lediglich der erweiterte Kourou-Komplex der Europäischen Raumfahrtbehörde in Französisch-Guayana aus, der infolge eines heftigen Märzsturmes gesperrt werden musste (die ESA-Mikroorganismen würden einen oder zwei Tage aufgehalten werden – oder eine halbe Million Jahre nach Spin-Zeit).
    Jason kam geradewegs zu meiner Suite, wo Diane und ich auf ihn warteten. Er trug eine billige Plastikwindjacke und eine Marlins-Mütze, die er sich zur Tarnung tief ins Gesicht gezogen hatte. »Tyler«, sagte er, als ich die Tür aufmachte. »Tut mir Leid. Wenn ich gekonnt hätte, wäre ich dagewesen.«
    Bei der Trauerfeier. »Ich weiß.«
    »Belinda Dupree war das Beste am ganzen Großen Haus. Das ist mein voller Ernst.«
    »Ich danke dir«, sagte ich und trat beiseite.
    Diane näherte sich mit einem wachsamen Gesichtsausdruck. Jason machte die Tür hinter sich zu. Sie standen einen Meter auseinander und musterten sich. Das Schweigen lastete schwer. Jason war derjenige, der es brach. »Mit diesem Kragen«, sagte er, »siehst du aus wie ein viktorianischer Bankier. Und du solltest ein bisschen zunehmen. Ist es so schwer, eine vernünftige Mahlzeit zu bekommen im Land der Kühe?«
    »Mehr Kakteen als Kühe, Jase.«
    Und dann lachten sie und fielen einander in die Arme.
     
    Nach Einbruch der Dunkelheit setzten wir uns auf den Balkon und bestellten beim Zimmerservice ein Rohkost-Tablett (Dianes Wahl). Die Nacht war so dunkel wie jede andere Sternenlose, spinverhüllte Nacht, aber die Startrampen wurden von gigantischen Scheinwerfern erleuchtet und ihre Spiegelungen tanzten in der sanften Dünung.
    Jason ging jetzt seit einigen Wochen zu einem Neurologen. Die Diagnose des Spezialisten stimmte mit meiner überein: Jason litt an einer schweren und nicht auf Medikation ansprechenden multiplen Sklerose, und die einzig sinnvolle Behandlung war die Verordnung von Palliativen. Der Neurologe hatte sogar die Absicht gehabt, Jasons Fall den Gesundheitsämtern vorzustellen für deren laufende Studie über die bisweilen so bezeichnete AMS – atypische multiple Sklerose –, aber Jason hatte ihm das, mit Hilfe von Drohungen oder Bestechung, ausgeredet. Und vorläufig verschaffte ihm der neue pharmazeutische Cocktail eine stabile Remission – er war funktionstüchtig und beweglich wie zu besten Zeiten. Sollte Diane irgendeinen Verdacht gehegt haben, so wurde er rasch zerstreut.
    Er hatte eine Flasche teuren, original französischen Champagner mitgebracht, um die Raketenstarts zu feiern. »Wir hätten auch VIP-Plätze haben können«, erklärte ich Diane. »Exklusive Sitzreihen vor dem Vehicle Assembly Building. Ellbogen reiben mit Präsident Garland.«
    »Ach, wir haben einen guten Blick von hier«, sagte Jason. »Und der Vorteil ist, dass wir nicht als Requisiten für spektakuläre Fotos herhalten müssen.«
    Diane zog einen Flunsch. »Ich bin noch nie einem Präsidenten begegnet.«
    Der Himmel war natürlich dunkel, aber im Fernsehen – wir hatten den Apparat im Hotelzimmer laut aufgedreht, um den Countdown zu hören – wurde über die Spin-Barriere gesprochen, und Diane blickte nach oben, als sei diese plötzlich sichtbar geworden: der Deckel, der die Welt verschloss. Jason sah, wie sie den Kopf zurücklegte. »Sie sollten nicht mehr Barriere dazu sagen«, brummte er. »Keine der Fachzeitschriften tut das noch.«
    »Ach? Und wie sagen die dazu?«
    Er räusperte sich. »Sie bezeichnen es als ›seltsame Membran‹.«
    »O nein.« Diane lachte. »Nein, das ist ja schrecklich. Völlig unakzeptabel. Es klingt wie ein gynäkologisches Leiden.«
    »Ja, aber ›Barriere‹ ist nicht korrekt. Es ist mehr wie eine begrenzende Schicht. Keine Grenzlinie, die man überschreitet. Es nimmt selektiv Objekte auf und beschleunigt sie ins äußere Universum. Der Vorgang ähnelt mehr einer Osmose als, sagen wir, dem Durchbrechen eines Zauns. Ergo Membran.«
    »Ich hatte ganz vergessen, wie es ist, sich mit dir zu unterhalten, Jase. Es wird leicht ein bisschen surreal.«
    »Still jetzt«, sagte ich. »Hört zu.«
    Das Fernsehen hatte zur NASA-Leitung hinübergeschaltet; zu hören war eine ausdruckslose

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