Spin
konnten, drängten sich die Kameras und Fotoobjektive – das Holiday Inn war ein ausgewiesenes Pressehotel (Simon mochte den säkularen Medien misstrauen, aber Diane war plötzlich mittendrin statt nur dabei). Wir konnten die untergehende Sonne nicht sehen, doch fiel ihr Licht auf die fernen Startrampen und Raketen, was diese eher ätherisch als real erscheinen ließ, wie eine Schwadron von Riesenrobotern, die zu irgendeiner Schlacht im Mittelatlantischen Graben abmarschierten. Diane trat einen Schritt von der Brüstung zurück, als würde sie der Anblick erschrecken. »Warum sind es denn bloß so viele?«
»Ökopoiesis mit der Schrotflinte«, erwiderte ich.
Sie lachte, es klang ein bisschen vorwurfsvoll. »Ist das ein Ausdruck von Jason?«
War es nicht, jedenfalls nicht ganz. »Ecopoiesis« war ein Ausdruck, der von einem gewissen Robert Haynes im Jahre 1990 geprägt wurde, zu einer Zeit, als Terraformung noch eine rein spekulative Wissenschaft war. Gemeint war streng genommen die Schaffung einer sich selbst regulierenden anaerobischen Biosphäre, wo vorher keine existiert hatte, doch der moderne Sprachgebrauch bezeichnete damit jede rein biologische Einwirkung auf den Mars. Zur Begrünung des Mars waren zwei Varianten des planetarischen Bauens erforderlich: grobe Terraformung, um die Oberflächentemperatur und den atmosphärischen Druck zu erhöhen, bis annehmbare Lebensbedingungen entstanden; und Ökopoiesis, die Verwendung von mikrobischem und pflanzlichem Leben, um den Boden aufzubereiten und die Luft mit Sauerstoff anzureichern.
Die schwere Arbeit hatte der Spin schon für uns erledigt: Sämtliche Planeten des Sonnensystems – mit Ausnahme der Erde – waren durch die Ausdehnung der Sonne beträchtlich erwärmt worden. Was zu tun blieb, war die Feinarbeit – Ökopoiesis. Freilich gab es eine Vielzahl möglicher Wege dahin, viele Kandidaten unter den einzusetzenden Organismen, von felsenbewohnenden Bakterien bis hin zu Hochgebirgsmoosen.
»Schrotflinte also deshalb«, spekulierte Diane, »weil ihr sie alle losschickt.«
»So viele, wie’s irgend geht, weil es bei keinem der Organismen eine Garantie gibt, dass er sich anpasst und überlebt. Einer aber schafft es womöglich.«
»Vielleicht mehr als einer.«
»Nichts gegen einzuwenden. Wir wollen ja ein Ökosystem, keine Monokultur.« Tatsächlich waren die Abschüsse zeitlich gestaffelt. Die erste Welle sollte nur anaerobe und photoautotrophe Organismen transportieren, simple Lebensformen, die keinen Sauerstoff benötigten und Energie aus Sonnenlicht gewannen. Sofern sie in ausreichend großer Anzahl gediehen und starben, würden sie eine Schicht von Biomasse schaffen, die komplexere Ökosysteme nähren konnte. Die nächste Welle, ein Jahr darauf, würde oxigenierende Organismen ins Spiel bringen, und mit den letzten unbemannten Abschüssen sollten primitive Pflanzen anreisen, um den Boden zu präparieren und Verdunstungs- und Niederschlagszyklen zu regulieren.
»Es kommt mir alles so unwahrscheinlich vor.«
»Na ja, wir leben auch in unwahrscheinlichen Zeiten. Aber du hast schon Recht, es gibt keine Garantie, dass es funktionieren wird.«
»Und wenn nicht?«
Ich zuckte mit den Achseln. »Was hätten wir verloren?«
»Viel Geld. Viel Arbeitskraft.«
»Ich kann mir keine bessere Verwendung dafür vorstellen. Ja, es ist ein Vabanquespiel, alles andere als eine sichere Sache, aber der potenzielle Gewinn lohnt das Risiko in jedem Fall. Und es bringt allgemeinen Nutzen, bisher jedenfalls. Gut für die Moral zu Hause und eine günstige Gelegenheit, die internationale Zusammenarbeit zu fördern.«
»Aber ihr habt Leute in die Irre geführt. Ihr habt ihnen vorgegaukelt, dass der Spin etwas ist, das wir managen, das wir technisch in den Griff kriegen können.«
»Hoffnungen geweckt, meinst du.«
»Die falsche Sorte Hoffnung. Und wenn ihr scheitert, bleibt ihnen überhaupt keine Hoffnung mehr.«
»Was sollen wir denn deiner Ansicht nach tun, Diane? Uns auf unsere Gebetsteppiche zurückziehen?«
»Es würde sicherlich nicht bedeuten, dass man seine Niederlage eingesteht – das Beten, meine ich. Und wenn ihr erfolgreich seid, ist der nächste Schritt, Menschen loszuschicken?«
»Ja, wenn wir den Planeten begrünen können, schicken wir Menschen.« Ein viel schwierigeres, ethisch komplexes Vorhaben. Wir würden die Kandidaten in Zehnergruppen auf den Weg bringen. Sie würden eine unvorhersehbar lange Reise in engster Umgebung mit begrenzten Vorräten
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