Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)
Mikrophon ein, räusperte sich und fing mit seinen Ausführungen an. Seine Stimme war unglaublich monoton. Keine Modulation, keine erkennbare Emotion, eine gleichmäßig sich drehende Welle in einem schlecht geschmierten Stahllager. Während seines ganzen Vortrags sah Professor Prof. Dr. Fischer nicht einmal nach links oder rechts. Seine blauen Augen waren völlig undurchsichtig immer in die Kamera gerichtet. Sarah kannte diese Art von Ärzten und Psychiatern. Sie hatte in ihrer eigenen Krankheitsgeschichte mit einigen von diesen Typen zu tun gehabt. Im Grunde waren sie meistens selbst stark gestörte Persönlichkeiten, die sich aber ohne jeden Zweifel, in völliger Anmaßung, erlaubten, über andere Menschen Urteile zu fällen. Sie hatte die SS-Zeit nicht mehr erlebt, sie kannte nur Erzählungen ihrer Großeltern, aber so ungefähr, vielleicht noch einen Tick schlimmer, mussten die Mediziner gewesen sein, die in Auschwitz und anderen Konzentrationslagern ihre skrupellosen Experimente mit Kindern und Behinderten durchgeführt hatten. Dieser Geist hatte sich im deutschen Medizinsystem noch immer erhalten, eine ganz eigene Art von Verachtung und Überheblichkeit, in der sich noch das alte deutsche Obrigkeits- und Standessystem widerspiegelte. Wie hatte sie es nicht gehasst, wenn man ihr in Kliniken und Arztpraxen immer wieder gesagt hatte: »Sie dürfen sich jetzt setzen. Sie dürfen sich jetzt wieder anziehen« und ähnliche Scheiße. Sie hatte darauf immer mit Spott und Aggression reagiert. Trotzdem hatte sie leider Hilfe gebraucht. Sie hatte es lange Zeit nicht wahrhaben wollen, aber irgendwann war ihr klar geworden, dass sie so nicht mehr weitermachen konnte, dass die extremen Essstörungen, mit denen sie oft zu kämpfen hatte, irgendwann auch ihren Tod bedeuten könnten. Und sie hatte Angst vor den schlimmen Nächten, in denen sie in eine tiefe Depression stürzte und nur damit beschäftigt war, sich selbst zu bestrafen, sich selbst herunter zu machen, sich selbst zu demütigen. Bei dem Versuch, aus diesem Teufelskreis herauszukommen, hatte sie auf ihrem Weg die verrücktesten Psychiater und Psychotherapeuten kennen gelernt. Viele von ihnen hätten mindestens genauso dringend eine Therapie gebraucht wie sie selbst, waren aber viel zu uneinsichtig, als dass sie den Grad ihrer Krankheit hätten erkennen können. Nur durch einen Zufall war sie vor eineinhalb Jahren auf die Adresse der Schweizer Klinik gestoßen, die von einer Selbsthilfeorganisation ins Leben gerufen worden war und nach dem Prinzip der gegenseitigen Hilfe der Betroffenen organisiert war. Eher eine therapeutisch wirksame Lebensform, denn eine Therapie. Und wenn sie ihren heutigen Stand betrachtete, hatte die Therapie tatsächlich gewirkt. Sie hatte ihr Ding unter Kontrolle.
Professor Prof. Dr. Fischer verkündete sein Evangelium wie eine Maschine, die das Recht auf göttliche Erlasse gebucht hat und in keinem, auch nicht im kleinsten Rädchen ihrer Konstruktion daran zweifelt, dass dies gottgewollt und -gegeben ist. Diesem Mann konnte man nicht über den Weg trauen, dafür hatte Sarah ein untrügliches Gespür. Natürlich bestätigte er Gene Design Technologies alles, was es zu bestätigen galt, wenn er dafür nur genügend Kohle einschieben konnte. Jeder auf dem Podium dort oben war dazu bereit, um einen wahrscheinlich sehr aufwändigen Lebensstil praktizieren zu können: Segeljacht, Porsche, Jaguar, Zweitwohnung im Tessin, Drittferienhaus auf Mallorca – was auch immer. Die Skrupellosigkeit dieser Leute war bestimmt extrem ausgeprägt. Als Anwälte und Mediziner hätten sie alle sicher auch ohne GDT ein mehr als ausreichendes Einkommen erwirtschaften können. Keiner von diesen Herrschaften war darauf angewiesen, seine Seele zu verkaufen, aber wie es den Anschein hatte, waren sie für genügend große Summen alle bereit, Überzeugungen und Tatsachen ganz nach den Erfordernissen ihrer Auftraggeber zu verbiegen und darzustellen.
Bei Professor Prof. Dr. Fischer war aus dem Eid des Hippokrates längst ein zynischer Witz geworden. Was Fischer von sich gab, war genauso, wie Sarah es erwartet hatte: aalglatt, unangreifbar und juristisch mehrfach durchgewälzt mithilfe der Anwälte von Gene Design Technologies. Die ganze Pressekonferenz war eine einzige perfekte Performance. Und um dem Ganzen noch den Gipfel aufzusetzen, zeigte GDT noch einen Imagefilm der Firma zum Thema Alzheimer, der volle Kanne auf Rührseeligkeit setzte, auf Menschenliebe, auf das
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