Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)
stellte, schien er sie langsam als Gast zu akzeptieren, und ging wieder seiner Beschäftigung nach ohne sich weiter um sie zu kümmern.
Die Kneipe war nur schwach besucht. Sarah erkannte auf den ersten Blick, dass Harry und Christoph nicht unter den Gästen waren. Sie beschloss, zu warten, und stellte sich mit ihrem Jever an einen Stehtisch gegenüber der Eingangstür.
Nach einer halben Stunde war sie mit ihrem Bier fertig und wäre am liebsten wieder gegangen, weil sie sich irgendwie fehl am Platz vorkam. Trotzdem entschied sie sich, noch ein Bier zu nehmen. Sie wollte unbedingt mit einem der Jungs reden. Vielleicht wussten sie ja inzwischen, wer die Garage wirklich ausgeräumt hatte und wo die Sachen geblieben waren.
Als der Wirt das Jever vor ihr auf den Tisch stellte, fragte er sie unvermittelt: »Kann ich dir helfen? Suchst du jemanden?«
»Kennst du jemanden, der Harry heißt oder Christoph?«
»Ja. Die beiden wohnen bei mir, im Hinterhaus. Was willst du von ihnen?«
»Nichts, ich kenne die beiden von früher, wir haben mal zusammen gewohnt. Harry hat mir gesagt, dass ich ihn hier finden kann, wenn ich ihn brauche.«
»Die beiden sind weg, seit zwei Wochen. Ich kann dir nicht sagen, wo sie sind. Die Bullen haben sie abgeholt. Ich hab’s selbst gesehen. Mitten in der Nacht.«
»Warum? Weißt du, wo sie sind?«
»Es war komisch. Die haben sich nicht wie Bullen benommen. Irgendwas ist faul da dran. Ich habe bei den Bullen angerufen, aber sie haben mir nichts gesagt. Und die beiden haben sich auch nicht mehr bei mir gemeldet. Weißt du, wir kennen uns sehr gut. Wir haben viel zusammen gemacht, früher, auf der Straße, Demos und so. Und die Jungs würden sich bei mir melden, wenn es irgendwie ging. Wir haben da so eine gemeinsame Abmachung, dass wir uns gegenseitig helfen, wenn einer von uns verhaftet wird. ‘Nen Anwalt besorgen und so was.«
Sarah schrieb ihre Telefonnummer auf einen Bierdeckel und schob ihn über den Tisch. »Wenn du was hörst von den beiden, rufst du mich an?«
»Okay, kann ich machen.«
»Danke!« Damit ließ Sarah ihr Jever stehen und verließ die Kneipe.
Wahrscheinlich hatte der Wirt Recht. Das Ganze war komisch. Die Bullen wussten von nichts – oder taten so, als ob sie nichts wüssten. Und wenn es keine Bullen waren? Wer war es dann? Jedenfalls jemand, der über extrem viele Möglichkeiten verfügte. Das Polizeisiegel, das auf ihrer Garage klebte, schien echt zu sein. Sie selbst konnte es jedenfalls nicht von einem echten Polizeisiegel unterscheiden. Und sie hatte schon einmal ein solches Siegel gesehen, an der Wohnungstür eines Nachbarn. Eins war zweifelsfrei sicher, sie musste sich in Acht nehmen.
* * *
Sarah hatte sich nicht getäuscht. Keiner der Mitinteressenten hatte sich für ein Zimmer in der Plattenbauwohnung begeistern können. Bereits am nächsten Morgen kurz nach acht rief die Wohnungsbaugesellschaft an und teilte ihr mit, dass sie sich den Schlüssel abholen könne und dass sie bis auf weiteres allein in der Wohnung sein würde.
Die Angestellten im Büro der Wohnungsbaugesellschaft waren überaus freundlich zu ihr. Sie waren froh um jedes Zimmer, das sie vermieten konnten, weil sie hofften, auf diese Weise zumindest die Erhaltungskosten für die gigantischen DDR-Alt-Immobilien zu erwirtschaften und so ihren Arbeitsplatz zu sichern.
Zusammen mit dem Schlüssel bekam sie ein Merkblatt ausgehändigt, auf dem stand, wie Kücheneinrichtung, Strom und Heizung zu handhaben waren und wohin die Miete überwiesen werden sollte. Damit waren die Formalitäten beendet.
Auf dem langen Weg hinaus nach Friedrichshain fiel ihr eine Schlagzeile an einem Kiosk auf: »Neue Entwicklung im Katana Mord«. Katana Mord? Sie hatte noch nie etwas davon gelesen. Und in wesentlich kleinerer Schrift stand darunter: »Anwälte von Gene Design Technologies verklagen die deutschen Behörden«. Das machte sie neugierig. Sie hatte noch nie etwas von einem Katana Mord in Zusammenhang mit GDT gehört.
Beim Umsteigen am Alexanderplatz besorgte sie sich die Zeitung. Sie überflog den Artikel hastig: »Die Anwälte der amerikanischen Biotechnologiefirma Gene Design Technologies haben die deutschen Justiz- und Ermittlungsbehörden wegen illegaler Ermittlungen im Fall Jochen Jakowski verklagt. Anlass für die Klage sind die außerdienstlichen Ermittlungen von Kommissar Weber von der Mordkommission Berlin-Mitte. Wie bereits berichtet, hat Kommissar Weber auf eigene Faust weiter ermittelt, obwohl
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