Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Ermittlungsverfahrens angeordnet hatte. Im Zuge seiner außerdienstlichen Ermittlungen wurde der Kommissar Ende vergangenen Monats bei dem Versuch, ins Rechenzentrum von GDT einzudringen, von Sicherheitsleuten der Firma gestellt und der Polizei übergeben. Wegen seines eigenmächtigen Vorgehens haben die Berliner Polizeibehörden bereits ein Disziplinarverfahren gegen Kommissar Weber eingeleitet. Da der Kommissar bereits die Altersgrenze für eine Frühpensionierung erreicht hat, wird das Verfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand enden. So weit, so gut. Und ohne die Indiskretion eines Informanten aus Polizeikreisen wäre die Angelegenheit wohl ohne weiteres Aufsehen im Sand verlaufen. Doch nun hat die Firma, die sich durch die reißerischen Presseberichte der vergangenen Tage zu Unrecht an den Pranger gestellt fühlt, weitere juristische Schritte eingeleitet. Gene Design Technologies, mit Hauptsitz in Seattle, im Bundesstaat Washington, USA, hat die deutschen Justizbehörden wegen illegaler Ermittlungen verklagt. Die Firma behält sich zugleich weitere zivilrechtliche Schritte gegen Kommissar Weber vor. Mit einer ganzen Armada von prominenten Anwälten ist die Firma wegen der Verdächtigungen durch Kommissar Weber in die Offensive gegangen. Das Unternehmen hat außerdem für heute, 14:00 Uhr, eine Pressekonferenz in der Berliner Handelskammer anberaumt, um Stellung zu den Vorfällen zu nehmen. Um eine möglichst breite Öffentlichkeit zu erreichen, wird die Pressekonferenz zeitgleich von den beiden wichtigsten deutschen Nachrichtensendern übertragen. Der Fall Jochen Jakowski ist nach wie vor rätselhaft. Der junge Mann, der vor zwei Monaten in einem Eifersuchtanfall seine Freundin mit einem Samuraischwert förmlich hingerichtet hat, hat die Tat zwar wiederholt gestanden, dabei zum Tathergang jedoch eine ganze Reihe von widersprüchlichen Angaben gemacht. Deshalb ist Kommissar Weber bis heute nicht hundertprozentig von der Schuld Jochen Jakowskis überzeugt. Der Kommissar, der seit Jahren durch seinen ungewöhnlichen Stil und teilweise auch durch Methoden am Rande der Legalität auffällt, wirft Gene Design Technologies vor, bei ihren Forschungsreihen nicht genehmigte Medikamente einzusetzen, die im Fall von Jochen Jakowski eine Psychose ausgelöst hätten.«
    Sarah legte die Zeitung beiseite und sah auf die Uhr. Es war kurz vor 14 Uhr. Sie ging in einen Elektronikmarkt und bezirzte einen Verkäufer in der Elektronikabteilung, ihr auf einem Fernseher NTV einzustellen. Die Pressekonferenz hatte noch nicht begonnen, aber die Vertreter von Gene Design Technologies saßen, flankiert von ihren Anwälten, bereits auf dem Podium. In ihren perfekt sitzenden Anzügen bildeten sie eine Wand aus Überheblichkeit und Arroganz. Was sie hinter dieser Fassade ahnen konnte, erschreckte Sarah. Sie hatte das Gefühl, dass die Manager von GDT für die Interessen ihrer Firma bereit waren, alles zu tun, absolut alles. Und je weiter die Pressekonferenz fortschritt, desto mehr wurde Sarah in ihrer Ahnung bestärkt.
    Die Leiterin der Pressekonferenz, die ein bisschen wirkte wie eine weiße Condoleezza Rice, die ehemalige Außenministerin der USA, schaltete ihr Mikrophon ein, umriss in kurzen Worten das Ziel der Veranstaltung und erteilte dann dem Sprecher der Anwaltskanzlei das Wort.
    Nach der üblichen Begrüßungsformel verlas der Anwaltsvertreter eine mehrseitige Stellungnahme von Gene Design Technologies zu den Vorwürfen. Er zählte alle Zertifizierungen mit den zugehörigen ISO-Nummern auf, die die Firma durchlaufen hatte. Obwohl Sarah die ISO-Nummern nichts sagten, konnte sie sich den Aufwand und die Vorgaben vorstellen, der hinter diesen Zertifizierungen steckten. Dann schloss der Anwalt einen Exkurs über die Firmengründung an und hob hervor, mit welchem Ethos die Firma gegründet worden sei und auf welche edlen Ziele die Forschungsvorhaben der Firma abzielten. Dass bei Forschungen Menschen zu Schaden kommen, lasse sich leider nicht immer ausschließen. Aber bei GDT werde alles Erdenkliche getan, um derartige Risiken zu minimieren.
    Sarah schweifte ab und versuchte, Jack Cruise auf dem Podium oder auf einem der Zwischenschnitte vom Zuschauerraum zu entdecken. Aber Cruise schien nicht anwesend zu sein. Das sprach irgendwie für ihn. Vielleicht war er ja wirklich okay.
    Der Redner war inzwischen bei den Alzheimer-Studien angekommen. Er hob