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Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Titel: Spines - Das ausradierte Ich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Scherm
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hatte, für den Krankheitsverlauf bedeuteten.
    Er hatte gerade einen interessanten Link gefunden, als Torsten ins Zimmer kam und ihm zur Begrüßung die Hand auf die Schulter legte. »Und, war alles in Ordnung zu Hause?«, spielte er darauf an, dass Paul von seinem Vater aus dem Experiment herausgeholt worden war.
    »Super. Es war einfach schrecklich. Ich bin ewig herumgeirrt und schließlich hab ich den Alten tanzend in einer Tiefgarage aufgesammelt!« Torsten lachte über die skurrile Vorstellung.
    »Es wird immer schlimmer. Ich mach mir echt Sorgen«, wechselte Paul die Tonlage.
    »Er kann sich dann gar nicht mehr zurechtfinden, ohne Hilfe?«
    »Wenn ich ihn nicht gefunden hätte, hätte ihn wahrscheinlich irgendwann mal die Polizei aufgegriffen, ausgehungert und verwahrlost.«
    »Hast Du auch das Gefühl, dass sich seine Persönlichkeit verändert? Oder gibt es extreme emotionale Schwankungen?«
    »Ja, er beschimpft mich manchmal, vollkommen grundlos und sehr verbittert.«
    »Und… kann er seine Ausscheidungen noch kontrollieren? Ich meine, ist er inkontinent?« Torsten war es unangenehm, Paul diese intime Frage zu stellen.
    »Nein, nicht das ich wüsste…«
    »Es könnte sein, dass dein Vater sich grade am Übergang von Stadium 5 zu Stadium 6 befindet. Es gibt da einen guten Überblick über die verschiedenen Stadien der Krankheit von Reisberg, Ferris, Leon, & Crook, im American Journal of Psychiatry. Ich such dir das mal raus, wenn ich darf.« Torsten beugte sich zum Schreibtisch und griff nach der Maus. Dann überflog er die Seite mit den Links, die Paul gerade auf dem Bildschirm hatte, und klickte einen der Links an. »Hier, du hast ihn ja selber schon gefunden. American Journal of Psychiatry von 1982, B. Reisberg, S.H. Ferris, J.J. Leon, & T. Crook. Da findest du alles, was du suchst.« Er legte Paul nochmal die Hand auf die Schulter und drückte sie, um ihm seine Verbundenheit auszudrücken. Dann ging er an seinen Schreibtisch und nahm seine Arbeit auf.
    Paul las den Artikel, in dem der allgemeine Krankheitsverlauf bei primären degenerativen Demenzerkrankungen wie Alzheimer in sieben Stadien eingeteilt wurde, mit zunehmendem Interesse. Dieser Artikel machte ihm durch seine nüchterne Aufstellung unmissverständlich klar, was ihn in der Zukunft erwartete.
    Im ersten Stadium der Alzheimer-Krankheit gibt es noch keine erkennbaren Verluste von kognitiven Fähigkeiten. Das heißt, logisches Denken, das Denken in Alternativen, Lernfähigkeit sowie Urteils- und Entscheidungsfähigkeit sind noch intakt. Auch bei klinischen Interviews sind noch keine Defizite in der Gedächtnisleistung erkennbar. Trotzdem läuft bereits der tödliche Prozess im Gehirn des Erkrankten, das Sterben der Nervenzellen hat unaufhaltsam begonnen.
    Das zweite Stadium ist erreicht, wenn der Betroffene selbst die ersten Gedächtnisstörungen wahrnimmt. Er vergisst die Namen ehemals gut bekannter Personen und hat Schwierigkeiten beim Wiederfinden häuslicher Gegenstände. Ein Umstand, der ihm zunehmend Sorgen macht. Bei klinischen Untersuchungen sind in diesem Anfangsstadium der Krankheit noch keine Veränderungen der Gedächtnisleistung erkennbar.
    Mit dem dritten Stadium treten erstmals klar erkennbare Fehlleistungen wie Schwierigkeiten bei der Wort- und Namensfindung sowie beim Erinnern von Gelesenem auf. Der Erkrankte hat außerdem erste Orientierungsschwierigkeiten an unbekannten Orten. Er spürt, dass etwas Bedrohliches mit ihm geschieht, und versucht in seiner Angst, die Defizite zu leugnen.
    Im darauf folgenden Stadium kommt es zu weiteren kognitiven Einbußen. Das Wissen über gegenwärtige und kurzzeitig zurückliegende Ereignisse nimmt ab, es treten Gedächtnislücken in der personenbezogenen Vergangenheitsgeschichte auf. Die Fähigkeit, sich alleine örtlich zu orientieren, nimmt ab, komplexe Aufgaben können nicht mehr ausgeführt werden. Oft ist es den Betroffenen aber noch möglich, bekannte Orte aufzusuchen. Auch jetzt verneinen die Kranken ihre Defizite und ziehen sich bei Anforderungen zurück.
    Mit dem fünften Stadium beginnt die eigentliche Demenz. Die Betroffenen können nicht länger ohne Hilfe im Alltag zurechtkommen und sind nicht mehr in der Lage Auskunft über aktuelle, wichtige Aspekte ihres Alltagslebens zu geben. Lang bekannte Adressen, Telefonnummern und Namen können nicht mehr genannt werden. Die Erkrankten verlieren den Bezug zur Zeit, wissen oft nicht mehr, welcher Tag ist und um welche Jahreszeit es sich

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