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Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Titel: Spines - Das ausradierte Ich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Scherm
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ausgedrückt. Fakt war, er spürte eine Müdigkeit, die geradezu grausam war. Sein Gehirn verweigerte das Denken und schaltete in einen Energiesparmodus, aus dem er es kaum noch wachrütteln konnte. Es gab dann nur einen Ausweg, er musste einen Mittagsschlaf halten. Leider hatte sein Büro aber eine Glasfront zum Gang, er konnte sich nicht hinlegen, ohne dass es bemerkt wurde. Also hatte er sich ein paar Filmplakate von Kriminalfilmen besorgt und die Glasfront damit soweit abgeklebt, dass er ein uneinsehbares Eckchen für seinen Büroschlaf hatte. In Deckung hinter Sam Spade und Jack Nicholson schlief es sich einigermaßen ungestört. Wochenlang hatte er im Sitzen im Sessel geschlafen. Dann hatte er eine Gästematratze ins Büro geschmuggelt und versucht, unter dem Schreibtisch zu schlafen, wenn sein Körper um die Mittagszeit abschaltete. Jetzt zog er sich in den Schatten von Jack zurück, aß noch einen Apfel und eine Handvoll Salzstangen und fiel dann für eine halbe Stunde in einen bleiernen Schlaf.
    Leider liebte sein Abteilungschef Besprechungen am späten Vormittag. Eine Tortour für Weber – und vollkommen sinnlos noch dazu. Auch wenn er physisch daran teilnahm, er kriegte so gut wie nichts davon mit und musste bei Kollegen nachfragen, was verkündet oder beschlossen worden war. Aus einem normalen Arbeitsverhältnis wäre er längst auf die Straße gesetzt worden, aber Weber war Beamter, er konnte nicht gefeuert werden. Ein paar Mal stand eine Versetzung als Maßnahme gegen seine Müdigkeitsanfälle im Raum, aber man hatte schließlich davon abgesehen, denn trotz seiner Müdigkeitsattacken konnte er beträchtliche Erfolge vorweisen. Wie er das machte, war allen ein Rätsel, aber Weber war klar, dass sein Geheimnis im regelmäßigen Büroschlaf lag. Im Schlaf kamen ihm oft die intuitiven Einfälle, die ihm die Lösung eines Falls erlaubten.
    Die letzten Tage waren die Hölle gewesen. Kommissar Weber war nicht einmal zum Schlafen gekommen. Der Chef hatte jeden Tag zur Lagebesprechung gebeten. Eine junge Frau war ermordet in ihrer Wohnung aufgefunden worden. Der Täter hatte sie offensichtlich in einer Art von Blutrausch mit einem Samuraischwert getötet. Die Waffe lag unmittelbar neben der Toten. Nach dem Zustand der Leiche zu urteilen hatte der Täter wie von Sinnen auf die Frau eingeschlagen.
    Bereits wenige Stunden nach dem Leichenfund wurde das Präsidium von der Presse regelrecht belagert. Ein derart grausamer Mord war natürlich für die Boulevardpresse ein Auflagenbringer. Webers Tagesablauf war mit einem Schlag auf den Kopf gestellt. Gott sei Dank gelang es ihm, den mutmaßlichen Täter innerhalb weniger Tage zu ermitteln und in Haft zu nehmen. Es handelte sich um den langjährigen Freund der Ermordeten, Jochen Jakowski, einen jungen Mann von Anfang dreißig.
    Jochen war das, was man einen ewigen Studenten nannte. Zurzeit studierte er im Zweitstudium im zwölften Semester Philosophie. Bereits bei seiner ersten Vernehmung legte er ein Geständnis ab, das er bei allen weiteren Vernehmungen mit minimalen Abweichungen wiederholte. Er gab an, seine Freundin in einem Eifersuchtsanfall getötet zu haben, weil er sie mit einem fremden Mann im Bett ertappt hatte. Die Tatwaffe hatte er sich nach eigenen Angaben schon vor Jahren über das Internet besorgt. Nach dem Besuch eines Actionfilms über einen blinden Samurai war er derart vom Schwertkampf fasziniert, dass er unbedingt ein Samuraischwert besitzen wollte. Er habe aber nie daran gedacht, das Schwert jemals zu benutzen. Warum er die Kontrolle so verloren hatte, war ihm selbst ein Rätsel.
    Es gab keinen Grund, an diesen Aussagen zu zweifeln. Die Spurensicherung hatte jede Menge Spuren von Jochen in der Tatwohnung gefunden. An seiner Kleidung waren reichlich Blutspuren des Opfers gefunden worden. Die Angaben zur Tatzeit und zum Hergang der Tat stimmten mit den gesicherten Spuren überein.
    Trotzdem fand Kommissar Weber die Geschichte einigermaßen rätselhaft. Was ihn irritierte, war die Tatsache, dass man beim Opfer Spuren von Sperma gefunden hatte, die sich ohne jeden Zweifel Jochen zuordnen ließen. Der hatte aber angegeben, seit drei Wochen keinen Geschlechtsverkehr mit dem Opfer gehabt zu haben. Ein Widerspruch, aber einer, der sich leicht erklären ließ. Es kam immer wieder vor, dass Mörder die Leichen der von ihnen Ermordeten sexuell missbrauchten, auch in Fällen, in denen sich Opfer und Täter sehr nahe gestanden hatten.
    Jochen stritt vehement ab,

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