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Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Titel: Spines - Das ausradierte Ich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Scherm
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spart, wo immer es geht, auch bei Küchenutensilien.«
    Er fischte sich einen Keks mit Schokoüberzug aus der Dose und legte ihn auf dem Rand seiner Untertasse zum Verzehr bereit. Sarah sah ihn erwartungsvoll an.
    »Wenn’s normal läuft, werd ich bei einem solchen Todesfall gar nicht gerufen. In der Regel stellt der Arzt einfach einen Totenschein aus und fertig. Bei Ihrem Vater bin ich nur hinzugezogen worden, weil der Arzt, der vom Hotelpersonal gerufen worden ist, seinen Job ungewöhnlich genau genommen hat. Er hätte einfach Herzinfarkt mit Todesfolge diagnostizieren können, aber irgendetwas an der Leiche hat ihn stutzig gemacht.«
    Revelli legte sich den Keks auf die Zunge und schloss den Mund. Sarahs fragte sich, ob er es wohl schaffen würde, ihn zu kauen, ohne sich dabei zu verschlucken. Er schaffte es und spülte den Rest mit einem kleinen Schluck Kaffee runter.
    »Ich wollte die Sache eigentlich schon unter die Rubrik ‚Tod ohne Fremdverschulden’ einordnen, aber dann ist mir eine Kleinigkeit aufgefallen, die mich immer noch irritiert. Wir haben unter dem Toten den Verschluss einer Dose gefunden. Sie wissen, so einen Aufreißverschluss wie bei Bier- oder Cola-Dosen üblich, aber im ganzen Zimmer gab es keine Spur einer dazu passenden Dose, nicht im Papierkorb, nicht im Schrank, nicht unter dem Bett, nirgends. Jetzt könnte man sagen, na und, hat halt irgendein Gast den Verschluss beim Öffnen einer Dose dort fallen lassen, die leere Dose in den Müll geschmissen oder auf dem Tisch stehen lassen oder hat sie mit in die Fitness genommen – weiß der Teufel was, und der Zimmerservice hat den Verschluss beim Saubermachen übersehen. Möglich, aber in einem Zürcher Fünf-Sterne-Hotel? Ich bitte Sie!«
    Der Kommissar nahm sich einen zweiten Keks und legte ihn auf dem Rand der Untertasse bereit.
    »Deswegen habe ich eine Obduktion erwirkt. Aber wir haben nichts gefunden, Todesursache Herzversagen. Auch an dem Dosenverschluss, nichts Auffälliges, bis jetzt jedenfalls. Es stehen noch einige Spezialuntersuchungen aus, aber für mich ist der Fall so gut wie abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft sieht jedenfalls keine Notwendigkeit für weitere Ermittlungen. Also muss ich die Ermittlungen praktisch einstellen, auch wenn ich persönlich noch meine Zweifel habe. Irgendetwas stimmt da nicht, sagt mir mein Instinkt. Aber gut, ich werde einen Abschlussbericht schreiben, wie es von mir verlangt wird und dann an meine deutschen Kollegen übergeben. Für Sie heißt das, dass Sie eventuell damit rechnen müssen, dass Sie noch mal befragt werden, wenn Sie nach Deutschland zurückkommen. Sie sind die einzige lebende Verwandte, wie wir herausgefunden haben. Der Leichnam ist freigegeben. Ich habe die deutsche Botschaft darüber informiert.«
    »Was heißt das?« Sarah überlegte, was das für sie bedeutete.
    »Wahrscheinlich wird sich die Botschaft bei Ihnen melden und fragen, was mit dem Leichnam geschehen soll, ob Sie ihn nach Deutschland überführen wollen oder ob er in Zürich beerdigt werden soll. Darauf sollten Sie vorbereitet sein. Sie können entscheiden, wo er beerdigt wird. Wenn es Ihnen wichtig ist, wo die Bestattung stattfindet, sollten Sie von sich aus Kontakt mit der Botschaft aufnehmen – man kann nie wissen. Ich habe Ihnen hier die Nummer aufgeschrieben.«
    Revelli schob ihr ein liniertes Pappkärtchen mit einer Zürcher Nummer über den Tisch. Dann öffnete er den Mund. Den zweiten Keks ereilte das gleiche Schicksal wie den ersten.
    »Nach allem was wir ermitteln konnten, hat Ihr Vater in Berlin gelebt, in der Dunckerstraße 89. Ist das korrekt?«
    »Ja, ich glaube. Er hat mir gesagt, dass er in Berlin lebt, in welcher Straße, weiß ich nicht.«
    Revelli machte sich eine kurze Notiz auf einem seiner linierten Pappkärtchen.
    Sarah fühlte sich unwohl. Sie mochte es nicht, wie der Tote sich mit einem Mal in ihr Leben drängte.
    »Die Sachen, die Ihr Vater bei sich hatte, bleiben vorerst hier. Ich darf sie Ihnen leider nicht aushändigen. Wahrscheinlich wird das Nachlassgericht in Berlin einen Nachlasspfleger bestellen. Der wird sich um das Erbe kümmern und wird Ihnen dann bestimmt auch die Sachen übergeben, die wir sichergestellt haben. Wenn Sie es eilig haben, sollten Sie sich sobald als möglich beim Nachlassgericht in Berlin melden.«

* * *
    Im Dezember 1888 begann Alois Alzheimer als Assistenzarzt an der »Städtischen Heilanstalt für Irre und Epileptische« in Frankfurt am Main zu arbeiten. Im

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