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Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Titel: Spines - Das ausradierte Ich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Scherm
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diesen Briefen zeigen, Becker? Ich denke, nein! Das ist alles ein abstruses kryptisches Geschwätz von jemandem, der sich einbildet, mich irgendwann mal gekannt zu haben.«
    »Wir halten den Schreiber der Briefe jedenfalls für gefährlich. Und auch die Experten vom BKA sind da unserer Meinung. Haben Sie vielleicht eine Idee, wer als Absender in Frage kommen könnte?« Beckers Stimme hatte einen lauernden Unterton. Endlich hatte er den Minister da, wo er ihn haben wollte.
    »Glauben Sie allen ernstes, dass ich meine Zeit mit diesen nicht gerade geistreichen Briefen verschwende?«
    »Ich würde Ihnen raten, diese Briefe ernst zu nehmen, Herr Minister. Wir jedenfalls tun das. Ich habe das BKA gebeten, den Personenschutz für Sie zu verstärken.«
    Bingo, dachte Schneider, natürlich nimmt er diese Gelegenheit wahr, um mir nachzuschnüffeln und in meiner Vergangenheit zu graben. Aber ich werde den Teufel tun und dabei mithelfen. Er sah Becker lange direkt in die Augen. Dann sagte er betont langsam: »Sie wissen, was Sie tun, Becker, aber ich kann Ihnen dabei leider nicht helfen. Ich kann mich an niemanden erinnern, der als Schreiber in Frage kommen könnte.«
    Becker fiel der feine Unterton in der Stimme des Ministers auf, aber er beschloss, ihn zu ignorieren und wechselte zum nächsten Punkt auf der Agenda.

* * *
    Sie war in Panik. Verzweifelt warf sie sich in ihrem Bett von einer Seite auf die andere und versuchte aufzustehen. Aber sie schaffte es einfach nicht. Eine unsichtbare Macht lag auf ihr und ließ es nicht zu. Hilflos musste sie mit ansehen, wie zwei Männer hastig die Wohnung durchsuchten, Schubladen herausrissen, Kleider aus den Schränken zerrten und über den Boden verteilten.
    Ihr war klar, dass es um alles ging. Als einer der Männer eine Flüssigkeit aus einem Kanister in den Räumen verteilte und in Brand steckte, machte sie einen neuen Versuch, sich aufzubäumen – vergeblich. In ihrer Verzweiflung wollte sie mit aller Kraft losschreien, aber sie hatte keinen Atem mehr. Ein ungeheures Gewicht lag auf ihrer Brust. Nach Schweiß und Dreck schmeckende, raue Hände lagen auf ihrem Gesicht und pressten sie in die Kissen. Sie hatte nicht den Hauch einer Chance, sich zu befreien. Ist das ein Traum oder ist das Wirklichkeit, dachte sie und spürte einen seltsamen Schmerz in ihren Lungen, als sie merkte, dass sie keine Luft mehr kriegte. Es wurde dunkel und ein Gefühl von Erleichterung trat ein. Der Druck, der auf ihr lag, ließ langsam nach. Sie verlor das Bewusstsein.
    Nach einer Weile fühlte sie einen Hauch von Wärme, der sich binnen Sekunden zu einer unerträglichen Hitze steigerte, die ihr das Atmen unmöglich machte. Sie holte Luft, aber nichts davon kam in ihrem Inneren an. Ihr Körper schien ihr wie im Fieber. Sie hechelte, aber spürte keine Luft in ihren Lungen. Sie fing an, wild um sich zu schlagen und war plötzlich hellwach. Der erste bewusste Atemzug löste einen heftigen Hustenanfall aus. Sie rannte zum Fenster und riss es auf. Über die Brüstung hängend nahm sie ein paar tiefe Atemzüge. Sie musste raus hier. Das Zimmer war voller Rauch, in der restlichen Wohnung stand alles in Flammen.
    Das Foto. Plötzlich fiel ihr das Foto ein. Es hatte keinen Sinn mehr etwas zu retten, es war alles verloren, aber sie musste unbedingt das Foto mitnehmen. Sie nahm einen tiefen Atemzug und hielt die Luft an. Dann raffte sie ihre Kleider zusammen und rannte zum Wohnzimmer. Hier herrschte vollkommenes Chaos. Alles war auf den Kopf gestellt, die Schränke offen, der Inhalt der Schubladen über den Boden verteilt. Die Schreibtischschublade hing halb heraus, brannte aber noch nicht.
    Allmählich ging ihr die Luft aus. Sie rannte zum Fenster zurück und atmete noch einmal durch. Dann lief sie ins Wohnzimmer zurück und durchsuchte hastig den Inhalt der Schublade. Sie konnte das Foto nicht finden. Aber es musste in der Schublade sein. Sie hatte es selber da hineingelegt. Die Luft wurde knapp, ihre Augen brannten vom Rauch und hinter ihr tanzten Flammen über den Teppich. Ohne weiter nachzudenken, nahm sie einfach die ganze Schublade unter den Arm und rannte mit ihr ins Treppenhaus hinaus.
    Draußen war alles still und friedlich. Es sah aus, als wäre nichts geschehen. Keiner im Haus hatte bis jetzt etwas von dem Inferno bemerkt. Sie zog schnell ihre Klamotten an und suchte gleichzeitig nach ihrem Handy, das in irgendeiner der Taschen steckte. Zum ersten Mal in ihrem Leben wählte sie die 112 und war irgendwie

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