Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)
wahrnehmbar mit bloßem Auge. Wir werden diese Moleküle einatmen und man wird sie uns injizieren, wir werden es nicht bemerken. Vor fünfzehn Jahren war das Science Fiction, heute ist es Realität, die unmittelbar bevorsteht. Nanotechnologie wird alles verändern. Winzige ‚robot-assemblers’ werden alles herstellen können, was vorstellbar ist, sie werden es einfach aus einzelnen Molekülen und Atomen zusammenbauen, jedes denkbare Material, Autos, Teppiche, alles – Wundermaschinen. Wenn das alles erst möglich ist, werden sie alles verschlingen, Pflanzen, Tiere und Menschen. Sarah, denk das mal zu Ende, Sarah! Nur dann wirst du das begreifen können. Es geht um die Herrschaft über die Welt, China ist im Kommen, eine gigantische Kraft. Wie kann Amerika dagegen bestehen. Denk darüber nach, Sarah. Amerika ist zu allem bereit, zu allem.«
Sarah hatte endgültig genug. Der Typ hatte wahrscheinlich irgendwann zuviel LSD erwischt, zu viel von was auch immer für einer Droge.
»Ich muss jetzt leider weg, habe noch eine Verabredung später«, log sie. »Wo kann ich dich denn erreichen, wenn ich noch Fragen habe?«
»Schick mir eine Mail, an die Adresse auf meiner Website, ich melde mich dann.« Er schrieb ihr eine Internetadresse auf einen Bierdeckel.
»Danke, wir sehen uns sicher noch mal!« Sarah stand auf und steckte den Bierdeckel in ihre Hosentasche.
»Würd’ mich freuen«, grinste Sebastian. »Und denk noch mal darüber nach, was ich dir gesagt habe. Je mehr wir sind, desto größer sind unsere Chancen!«
* * *
Sarah hatte sich mittlerweile in der Garage eingelebt. Sie fühlte sich fast schon richtig zu Hause. Wenn sie sich abends beim Licht einer Kerze in ihren Schlafsack einhüllte, fühlte sie sich sicher und geborgen. Sie hatte ihren Tagesablauf an ihre neue Behausung angepasst. Nach dem Aufwachen ging sie in eine Bäckerei zwei Straßen weiter und nahm eine Tasse Kaffee und zwei Croissants zu sich. Die Einrichtung war einfach, aber die Kaffeemaschine war ein italienisches Fabrikat und lieferte einen ausgezeichneten Kaffee, der um Längen besser war als in den anderen Bäckereien in der Gegend, die alle einfachen Filterkaffee aus der Thermoskanne verkauften, der ihr nicht schmeckte und von dem sie in der Regel Bauchschmerzen bekam.
Die Croissants waren ein anderes Thema. Da die Bäckereien alle samt und sonders in türkischer Hand waren, hatten die Bäcker keine Ahnung davon, was ein gutes Croissant ausmachte. Ihre Stammbäckerei bildete auch da eine Ausnahme. Die Croissants kamen nicht aus eigener Herstellung sondern wurden halbfertig angeliefert und aufgebacken. Das Ergebnis war nicht wirklich lecker, aber durchaus mit Genuss essbar.
Dusche und Toilette erledigte sie in einem Hallenbad, das drei U-Bahnstationen weit entfernt lag. Und wenn sie mal nachts raus musste, ging sie auf einen Friedhof, der rund um die Uhr zugänglich war.
Sie dachte oft an Mark. Er hatte durch seine seltsame Art von der ersten Sekunde an ihre Neugierde geweckt. Sie fragte sich, was er wohl gerade machte und ob er noch mal versucht hatte, sie zu besuchen. Schließlich ließ ihr ihre Neugier keine Ruhe mehr. Sie suchte im Stadtplan nach Marks Adresse. Die Straße war gar nicht mal so weit entfernt von ihr. Und es war erst kurz vor 22 Uhr. Einen Typen wie Mark konnte man um diese Zeit durchaus noch heimsuchen. Also schnappte sie sich eine warme Jacke und machte sich auf den Weg. Ihre verdammte Neugier, ihre verdammte Lust, in fremden Schubladen zu stöbern – dafür war sie bereit, ziemlich weit zu gehen. Sie hatte sich sogar einmal bei einem Elektronikversand ein Minimikrophon mit Funkstrecke besorgt, um herauszufinden, ob ihre damals beste Freundin ein Verhältnis mit ihrem damaligen Freund hatte. Sie hatte – was dann das Ende der Freundschaft bedeutete und dazu führte, dass Sarah die Aktion bereute. Aber der Katalog mit dem ganzen Agenten- und Schnüffelequipment hatte sie einfach zu stark fasziniert. Ohne zu wissen wofür, hatte sie sich noch ein Knopflochmikrophon und ein kleines Aufnahmegerät bestellt und hatte damit heimlich Gespräche bei Treffen mit Bekannten und Freunden mitgeschnitten. Wenn sie die Aufnahmen später abhörte, konnte sie viel klarer erkennen, was die Leute eigentlich meinten. Das Mikrophon war unbestechlich. Durch die Aufzeichnung wurde das Gesagte aus der Flüchtigkeit des Augenblicks herausgenommen. Es wurde für eine genauere Betrachtung zugänglich. Und die Gefühle hinter dem Gesagten
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