Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)
organisieren. Sarah konnte hören, wie er die Schublade durchwühlte.
»Ausgezeichnete Idee!«, antwortete der Unbekannte. Seine Stimme hatte einen leicht scharfen Unterton.
Unglaublich, wie falsch man eine Situation interpretieren kann, wenn man zu wenig Informationen hat, dachte Sarah erleichtert. Sie hatte sich eine wilde Agentenstory zusammenfantasiert und in Wirklichkeit handelte es sich um eine simple Alltagssituation. Trotzdem konnte sie jetzt nicht einfach aus dem Bad treten und ein Bier mit den Jungs trinken. Das hätte sie doch in peinliche Erklärungsnöte gebracht. Da war es schon besser, das gestartete Programm weiterlaufen zu lassen. Sie robbte zur Tür und warf einen Blick durch den Spalt. Sie konnte sehen, dass der Unbekannte, bei dem es sich eindeutig um den Mercedes-Fahrer handelte, am Wohnzimmertisch stand und etwas betrachtete, das in einem schwarzen Tuch auf dem Tisch lag. Sie konnte nicht erkennen, um was es sich handelte. Mark kam mit zwei geöffneten Flaschen Jever aus der Küche und ging ins Wohnzimmer. Er blieb gegenüber dem Unbekannten am Tisch stehen, reichte ihm ein Jever und stieß mit ihm an. Der Unbekannte nahm den Gegenstand aus dem schwarzen Tuch und zeigte ihn Mark. »Für dich«, sagte er bedeutungsvoll, »ich finde, dass es Zeit ist, für dich.«
Mark nahm den Gegenstand in die Hand, betrachtete ihn und fing an, damit zu hantieren. Sarah hörte mehrfach ein metallisches Klacken, ohne dass sie sehen konnte, worum es sich handelte, weil Mark ihr die Sicht versperrte.
»Ja, vielleicht hast du Recht.« Mark legte den Gegenstand auf den Tisch zurück. Dann ging er zur Stereoanlage und drehte die Musik lauter. Der Unbekannte warf einen Blick in den Flur und schloss dann die Wohnzimmertür. Sarah nutzte die Gelegenheit, um sich aus dem Staub zu machen. Sie musste beim Verlassen der Wohnung nicht einmal besonders vorsichtig sein, die Musik deckte alle Geräusche zu.
Auf der Rückfahrt im Auto überlegte sie, um was es sich bei dem Gegenstand gehandelt haben könnte. Ein Werkzeug vielleicht, jedenfalls etwas aus Metall, das sich irgendwie auseinandernehmen ließ. Und es musste ziemlich schwer sein, nach dem Geräusch zu urteilen, das sie gehört hatte, als Mark den Gegenstand auf den Tisch zurückgelegt hatte.
* * *
Paul klickte die Fotos der Reihe nach durch. Zwei oder drei davon ließ er etwas länger auf dem Flatscreen stehen, um sie genauer zu betrachten. Sarah stand nah bei ihm und beobachtete ihn genau. Sie spürte eine starke Spannung, die nichts mit dem zu tun hatte, was auf dem Bildschirm zu sehen war, die ganz allein ihr galt, dessen war sie sich sicher. Dafür hatte sie hypersensible Antennen. Paul fand sie anziehend, das sagten ihr die Pheromone, die sie aufschnappte.
»Sehr gut ausgestattetes Labor, das ist wirklich alles vom Feinsten, Mikroskope, Computer, einfach alles. Ich kenne den Laden ja, Gene Design Tech ist absolute Spitze, was Forschung angeht. Außerdem ist GDT der wichtigste Sponsor unserer Arbeit hier. Die meisten von den neuen Geräten, die Sie hier sehen, hat GDT bezahlt. Und die Unterlagen, die ihr Vater da fotografiert hat, sind Aufzeichnungen von ziemlich alltäglichen Versuchsreihen. Gehirnstromdiagramme und Aktivitätsverlaufskurven von verschiedenen Gehirnregionen. Nichts Ungewöhnliches jedenfalls, was ich auf den ersten Blick erkennen kann.« Paul sah sie mit prüfenden Augen an.
»Aber mein Vater muss einen Grund gehabt haben, die Fotos zu machen. Man fotografiert nicht so ohne weiteres heimlich bei seinem Arbeitgeber und versteckt dann die Fotos in einem alten Auto in einer abgelegenen Garage«, hielt Sarah dagegen.
»Ja, mag sein. Aber es kann viele Gründe dafür geben, wir wissen sie nicht. Vielleicht hat ihr Vater die Unterlagen für eine Konkurrenzfirma fotografiert. GDT hat in der Alzheimerforschung einen enormen Vorsprung vor der Konkurrenz. Und dabei geht es um einen riesigen Markt, um Milliarden, da ist den Konkurrenzfirmen fast jedes Mittel recht.«
»Kann sein, aber, vielleicht halten Sie mich jetzt für verrückt, aber mein Vater ist vor kurzem tot in einem Hotel in Zürich gefunden worden. Und er ist wahrscheinlich ermordet worden. Die Züricher Polizei ermittelt jedenfalls in diese Richtung. Und auch ich wäre vor ein paar Tagen beinahe getötet worden. Zwei Männer haben die Wohnung meines Vaters, in der ich gewohnt habe, in Brand gesteckt und versucht, mich zu ersticken. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Zufall ist?
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