Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Titel: Spines - Das ausradierte Ich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Scherm
Vom Netzwerk:
Fortschritt nur im internationalen Austausch funktioniert. Dieser Austausch ist mit ein Grund dafür, dass unser Wissen in einem ungeheuren Maß zunimmt. Propheten der Zukunft, wie Vernor Vinge, behaupten sogar, dass es einen Punkt geben wird, an dem sich das Wissen der Menschheit explosionsartig ins Unendliche entwickeln wird. Dann werden wir alles wissen und alles können, was möglich ist. Vinge nennt diesen Punkt die sogenannte ‚Singularität’. Und niemand ist in der Lage, zu sagen, was dann sein wird, wenn diese Singularität eintritt, weil es bisher kein vergleichbares Ereignis in der Geschichte der Menschheit gibt.«
    »Und wann wird dieser Punkt erreicht sein?«
    »Es gibt dazu unterschiedliche Meinungen, frühestens 2015, spätestens 2040.«
    »2015? Also in ein paar Jahren? Das ist doch unmöglich, das kann nicht sein.«
    »Ja, ich denke, 2015 können wir abhaken. Aber was wird zehn Jahre später sein? Wir wissen es nicht. Rein mathematisch ist das jedenfalls logisch, rein mathematisch betrachtet, gibt es diesen Punkt, an dem wir unendlich nah dran sind, alles zu wissen. Die Geschwindigkeit, mit der wir unser Wissen verdoppeln, hat in den letzten Jahrzehnten immer mehr zugenommen. Grafisch dargestellt entspricht diese Entwicklung des Wissens einer Parabel, die irgendwann in den nächsten Jahrzehnten in eine Parallele zur Y-Achse einmünden wird, und das bedeutet, in die Unendlichkeit. Das bekannte Wissen der Menschheit wird dann unendlich sein.« Paul zeichnete mit seinem Zeigefinger eine imaginäre Parabel in die Luft, deren rechten Ast er parallel zu seiner Jever-Flasche nach oben Richtung Decke laufen ließ.«
    »Glauben Sie wirklich? Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Mensch dazu in der Lage ist. Was wissen wir denn heute wirklich? Im Grund sehr wenig! Seit Jahrzehnten suchen wir ein Mittel gegen den Krebs, und welche Fortschritte haben wir gemacht? Wir befinden uns immer noch auf einem entsetzlich primitiven Niveau. Wir schneiden die Geschwüre weg und dann radieren wir alles aus, mit Chemotherapien und Bestrahlungen. Halten Sie das für einen gigantischen Fortschritt?«
    »Sie haben Recht. Auch wir in der Hirnforschung, was haben wir schon groß erreicht? Wir wissen noch nicht einmal, wie das Gehirn funktioniert, wie Erinnerungen gespeichert und wieder abgerufen werden. Wir haben Theorien, ja, aber kaum Beweise. Wir wissen, wie das Gehirn aufgebaut ist und wie die Neuronen untereinander verbunden sind. Wir können beobachten, welche Bereiche höchstwahrscheinlich für welche Leistungen verantwortlich sind. Aber wir wissen bei weitem noch nicht, wie das Gehirn wirklich funktioniert. Wie entsteht zum Beispiel Bewusstsein? Es ist so, als würden wir ein paar Wassertropfen in einem Ozean kennen. Aber über die Tiefen des Meeres wissen wir so gut wie nichts. Und ich persönlich, was habe ich denn herausgefunden? Ich habe ein paar winzige Ausstülpungen gefunden, die an den Synapsen der Neuronen gebildet werden und die sich höchstwahrscheinlich auch wieder zurückbilden. Ausstülpungen, die sich unter Umständen sogar permanent verändern. Aber das ist eine ziemlich äußerliche Beobachtung. Ich bin weit davon entfernt, wirklich zu wissen, was das bedeutet. Ich verfolge eine Spur, von der ich nicht weiß, ob sie richtig ist.«
    »Vielleicht ist es für unser Gehirn einfach unmöglich, sich selbst zu verstehen, weil seine Kapazität dafür nicht ausreicht?«
    »Das ist genau der Punkt. Um ein derart komplexes System zu verstehen, benötigen wir mehr Intelligenz als das System selbst. Erst wenn wir wesentlich leistungsfähigere Computer besitzen, haben wir eine Chance, unser Gehirn zu verstehen. Die heutigen Prozessoren auf der Basis von Silizium reichen dazu nicht aus und werden außerdem bald die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreicht haben. Aber dann wird es neue Technologien geben, die mehr Leistung ermöglichen. Und dann werden wir auch dieses unendliche Wissen erreichen und handhaben können. Intelligentere Systeme können immer weiter noch intelligentere Systeme schaffen, und zwar schneller als wir Menschen das könnten. Und dann werden wir irgendwann diesen Punkt erreichen, an dem das verfügbare Wissen unendlich ist, oder jedenfalls sehr nahe dran an unendlich. Und dann werden wir auch in der Lage sein, unser Gehirn vollkommen zu verstehen.«
    Sarah sah Paul mit verwunderten Augen an. Seine Begeisterung für die Wissenschaft faszinierte sie. Und während er weitersprach, vertiefte sie

Weitere Kostenlose Bücher