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Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Titel: Spines - Das ausradierte Ich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Scherm
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beleuchten. Er war leer bis auf eine morbide Garderobe aus den 50er-Jahren, an der ein alter Mantel hing. Auf einem Sideboard stand ein grünes Telefon. Sarah fragte sich bei seinem Anblick erstaunt, wer wohl so ein hässliches Design entwickelt hatte. Auf dem Boden lagen zwei Paar Schuhe herum, kräftiges Schuhwerk mit derben Sohlen. Eigentlich viel zu derb für einen Menschen wie Mark, der in seiner gesamten Ausstrahlung so sanft wirkte.
    Alle Zimmertüren standen offen. Sarah warf einen Blick ins Wohnzimmer. Die Einrichtung war ein Sammelsurium von Möbeln, die augenscheinlich aus Wohnungsauflösungen oder vom Sperrmüll stammten. Die Wände waren schmucklos bis auf ein paar Zeitungsausschnitte, die mit Tesafilm auf die vergilbte Tapete geklebt waren, deren Streifenmuster kaum noch erkennbar war. In seiner besten Zeit war dieses Muster bestimmt potthässlich gewesen. Der Gilb hatte diese Hässlichkeit angenehm gemildert. Sarah trat ein paar Schritte ins Zimmer, um sich die Zeitungsausschnitte näher anzusehen. Plötzlich hörte sie Schritte im Treppenhaus. Sie rannte in den Flur und warf einen Blick hinaus. Es war bereits zu spät. Der Kopf eines Mannes tauchte unter dem letzten Treppenabsatz auf. Es war nicht Mark.
    Sarah schaltete innerhalb von Nanosekunden auf Notprogramm. Sie schloss die Wohnungstür, schaltete das Licht aus und fror jede Bewegung ein. Dann checkte sie ihre Lage. Gleich neben der Eingangstür war das Bad. Wenn der Typ wirklich in die Wohnung kam, konnte sie sich dort verstecken. Und wenn er nicht gleich aufs Klo ging, konnte sie unbemerkt die Fliege machen, wenn er im Wohnzimmer oder in der Küche war.
    Die Schritte draußen kamen näher und näher. Dann war es plötzlich wieder still. Jetzt musste der Typ unmittelbar vor der Tür stehen. Sarah wartete auf das Geräusch des Schlüssels, aber nichts. War der Mann wieder umgekehrt? Hatte sie seine Schritte treppab nicht gehört? Hatte sich einfach jemand im Stockwerk geirrt und war wieder eine Etage nach unten gegangen? Aber auch das hätte sie eigentlich hören müssen, so hellhörig, wie das Haus war. Eine halbe Ewigkeit passierte nichts. Dann hörte sie, wie leise ein Schlüssel ins Schloss geschoben wurde. Blitzschnell huschte sie ins Bad und drückte sich in eine Ecke gleich hinter der Tür. Sie versuchte, ihren aufgeregten Atem unter Kontrolle zu kriegen, und lauschte.
    Der Typ an der Tür war ein Experte. Er schaffte es, die Wohnungstür fast geräuschlos zu öffnen und wieder zu schließen. Eine Top-Leistung bei dieser Tür. Sarah ahnte die Bewegung der Tür mehr, als dass sie sie hörte. Jetzt musste der Mann im Flur stehen. Sie wartete auf seine Schritte, um zu erkennen, in welche Richtung er sich bewegte, aber es war nichts zu hören. Der Mann musste unmittelbar bei der Tür stehen geblieben sein. Welchen Grund hatte er dafür, so lange an der Eingangstür zu verharren? Hatte er sie bemerkt? Sie hörte ihr Herz wild gegen ihre Brust schlagen und stellte sich vor, dass es in seiner Wildheit rot strahlte, sodass der andere jenseits der Tür es unbedingt bemerken musste. Sie wartete angstvoll darauf, dass er jeden Augenblick ins Bad treten würde. Aber nichts geschah.
    Plötzlich hörte sie, wie ein Lichtschalter umgelegt wurde. Ein Streifen Licht fiel durch den Spalt der angelehnten Tür ins Bad und beleuchtete den kaputten Linoleumboden. Dann setzte sich die Person im Flur in Bewegung. Den Schritten nach zu urteilen Richtung Wohnzimmer. Sie hörte, wie die Wohnzimmertür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Im Flur war es wieder ruhig. Jetzt hatte sie eine Chance, die Wohnung unbemerkt zu verlassen. Sie trat vorsichtig an die Badtür, kniete nieder und schaute durch den Spalt in den Flur. Der Bereich des Flurs, den sie überblicken konnte, war nicht besonders groß, aber sie konnte erkennen, dass die Tür zum Wohnzimmer wirklich geschlossen war. Und jetzt konnte sie auch leise Musik hören. Der Unbekannte hatte eine Platte aufgelegt.
    Sie wollte gerade in den Flur treten und die Wohnung verlassen, als es klingelte. Sie zog sich wieder ins Bad zurück und hörte, wie die Wohnzimmertür aufging. Der Unbekannte ging zur Wohnungstür und öffnete sie. Dann ging er ins Wohnzimmer zurück. Sarah hörte, wie eilige Schritte die Treppe nach oben kamen. Dann ging die Wohnungstür auf und Mark durchquerte den Flur.
    »Ich hab uns einen Six-Pack Jever besorgt!«, rief er laut und ging in die Küche, wahrscheinlich um einen Öffner zu

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