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Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Titel: Spines - Das ausradierte Ich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Scherm
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sich in die feinen Linien der Fältchen rund um seine Augen, die auf sie überaus sympathisch wirkten. Paul strahlte mit seinem vom Wetter gegerbten Gesicht eine Verlässlichkeit und Ruhe aus, die ansteckend auf sie wirkten. Zugleich blitzte etwas von einem kleinen Jungen in ihm auf, wie bei den meisten Männern, wenn frau einen Blick in ihren atomaren Aufbau warf. Trotzdem fühlte sie sich irgendwie geborgen in seiner Gegenwart. Mit seinen halblangen, dunkelblonden Haaren und seinem breiten Kreuz hätte er an einem Strand in Florida oder Kalifornien eine ausgezeichnete Figur abgegeben, besser als David Hasselhoff in Baywatch – jedenfalls in ihren Augen. Sie fragte sich, wie der Abend wohl enden würde? Würden sie es zusammen treiben oder nicht? Sie jedenfalls hatte Lust darauf. Aber sie konnte ihn auf keinen Fall mit zu sich in die Garage nehmen, da schämte sie sich irgendwie. Also würde er die berühmte Kaffeefrage stellen müssen. Noch war sie sich nicht ganz sicher, ob sie dann Ja oder Nein sagen würde. Sie würde sich überraschen lassen.

* * *
    Das Internet Café, das ein paar junge Leute in einem ehemaligen Waschsalon ein paar Querstraßen entfernt von seiner Wohnung eingerichtet hatten, war leer bis auf vier, fünf verlorene Gäste. Aus Mangel an Kapital hatte das Café immer noch den Charme des heruntergekommen Waschsalons. Die alten Neonröhren waren mit gelber Farbe angemalt und tauchten die Szenerie in ein mattes, kaltes Licht, das keine Atmosphäre aufkommen ließ. Ein paar große Waschmaschinen, die man als Deko stehen gelassen hatte, führten ein zweites Leben als Stehtische.
    Mark stellte sein Becks auf einer der Maschinen ab und setzte sich an einen der vergilbten Rechner.
    Otherworld.com war auf den ersten Blick eine unspektakuläre Seite. Ein Standarddesign mit Seitenmenü auf der linken Seite und einem Top-Menü, das zum Login, zu einem Impressum sowie zu einer Darstellung der Macher verzweigte und einen E-Mail Kontaktbutton anbot.
    Über das Seitenmenü konnte man sich mit den Features von Otherworld vertraut machen. Mark überflog die kurze und ziemliche unattraktiv aufgemachte Darstellung der Topographie der Cyberwelt, sah sich die Auflistung der Möglichkeiten und Werkzeuge, über die man in der Welt verfügen konnte, durch und scrollte dann durch eine kleine Galerie von Screenshots, die Szenen aus dem Leben der Cyberwelt zeigten.
    Obwohl ihm das Ganze nicht so richtig attraktiv vorkam, klickte er auf den Button »Anmeldung« und tippte die geforderten Angaben zu seiner Person in die Bildschirmmaske. Dann suchte er sich seinen Avatar aus, seine Stellvertreterpersönlichkeit, mit der er in der Cyberwelt agieren wollte. Er wählte einen männlichen Avatar mit blonden Haaren, einer Brille und einem unscheinbaren, schmächtigen Körper, Typ sympathischer Junge von nebenan, und gab sich den Vornamen »Catcher« und als Nachnamen wählte er »Abraham«.
    Damit war die Anmeldung vollständig. Er wurde zur Downloadseite für den User-Client weitergeleitet, eine Software, die für den Eintritt in die Cyberwelt auf dem Rechner installiert werden musste. Für die Installation der Software brauchte er die Erlaubnis der Betreiber des Internet Cafés. Weil er die Jungs gut kannte, war dies aber kein Problem. Und nach ein paar Minuten war der Client installiert.
    Als er die Software startete, öffnete sich die imaginäre Welt von Otherworld und sein Avatar schwebte ins Zentrum des Bildschirms. Auf einem kleinen Namensschild, das ihn begleitete, stand »Catcher Abraham«. Die anderen Avatare um ihn herum schienen ihn wahrzunehmen und reagierten auf ihn. Das Gefühl, in dieser Welt zu sein und von anderen gesehen zu werden, erregte Mark irgendwie. Seine Spannung stieg. Was würde geschehen? Eine Frauengestalt, die sich »Sal« nannte, kam langsam auf ihn zu, begann plötzlich zu fliegen und umschwebte ihn, wobei sie immer näher kam, bis sie schließlich ihre Beine um seine Hüfen schlang und sich mit Schwimmbewegungen in der Schwebe hielt.
    »Hi, Catcher, fühlst du dich gut?«
    Mark war verwirrt ob der Erotik der Szene und überlegte, wie er reagieren sollte.
    »Es geht dir gut, verdammt gut, ich kann es fühlen!«, beantwortete Sal die Frage selbst und schwebte mit einem Lachen davon.
    Mark war perplex. Er hatte nie gedacht, dass ein Kontakt in einer Fiktion, in einer vollständig imaginierten Welt, eine solche emotionale Kraft haben konnte. Sal faszinierte ihn. Aber wer war sie? War sie in der

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