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Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Titel: Spines - Das ausradierte Ich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Scherm
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Menschen bei gefährlichen Experimenten mit neu entwickelten Medikamenten aufs Spiel zu setzen.
    »Sie schrecken vor gar nichts zurück, Weber, wenn es darum geht, in die Zeitung zu kommen, oder? Ist es wirklich so toll, wenn man seine Visage in diesem Drecksblatt sieht?« Der Chef tippte mit seinem erigierten Finger auf ein Foto von Weber, das ihn beim Aussteigen aus einem Dienstfahrzeug zeigte. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und verließ wütend das Zimmer.
    Weber warf einen Blick auf das Foto und fand es gar nicht mal schlecht. Er war immer noch eine stattliche Erscheinung. Und er genoss es, dass die Medien ihn für seine manchmal ungewöhnlichen Methoden bei der Aufklärung von komplizierten Fällen liebten, auch wenn sein Vorgehen nicht immer im Einklang mit Verfahrensvorschriften und Dienstanweisungen war.
    Der Fall Jakowski hatte ihm keine Ruhe gelassen. Durch hartnäckige Recherchen im Freundeskreis des jungen Mannes hatte er herausgefunden, dass Jochen als Proband bei Gene Design Technologies an einer Studie für ein Alzheimer-Medikament teilgenommen hatte. Daraufhin hatte er sich mittels eines Tricks Zugang zu der Firma verschafft und versucht, die Unterlagen zu der Studie einzusehen und zu fotografieren. Dabei hatte ihn der Sicherheitsdienst der Firma aufgegriffen und der Polizei übergeben.
    Gene Design Technologies und die Ermittlungsbehörden hatten sich darauf geeinigt, die Sache möglichst klein zu halten. Und GDT unternahm nichts, um ein Ermittlungsverfahren gegen Weber anzustrengen. Aber nach dieser Titelgeschichte in der Berliner Zeitung würde der Firma nichts anderes übrig bleiben, sie musste reagieren und in die Offensive gehen. Das war Kommissar Weber nur recht. Denn das würde die gesamte Berliner Presse ins Spiel bringen. Und je mehr Journalisten an der Geschichte dran waren, desto größer wurden die Chancen, dass ein bisschen von dem Schlamm, auf dem nach Webers Überzeugung die Aktivitäten von GDT basierten, ans Tageslicht kam.
    Er hatte mit seiner Einschätzung Recht. Nur wenige Stunden, nachdem der Artikel erschienen war, standen die Anwälte von Gene Design Technologies auf der Matte und erstatteten Anzeige gegen ihn und die Ermittlungsbehörden.
    Kommissar Weber blieb trotzdem vollkommen gelassen. Im Gegenteil, die neue Entwicklung in der Angelegenheit schien seinen Herzschlag eher noch mehr zu verlangsamen. Während sein Chef draußen weiter tobte, versuchte er, ein kleines Nickerchen zu halten, um seinen Mittagsschlaf nachzuholen, der wie so oft der allgemeinen Hektik im Büro zum Opfer gefallen war.
    Kaum hatte er die Augen geschlossen, versank alle Aufregung um ihn herum. Nur mehr ganz von fern konnte er die Stimme des Chefs hören. Aber es gelang ihm nicht mehr, einzelne Wörter zu unterscheiden, obwohl er sich bemühte. Er hatte das Gefühl, in vollkommener Gelassenheit auf einem Achttausender zu sitzen, der Rest der Welt unter den Wolken versunken. Es war ihm egal, was sie tun würden. Disziplinarmaßnahmen waren in seinem Alter sinnlos. Zahnlose Versuche, ihn in die Schranken zu verweisen. Aber er hatte Gefallen an dem Fall gefunden und sein Instinkt sagte ihm, dass es sich für ihn lohnen würde, dran zu bleiben, egal welche Hindernisse man ihm in den Weg legte. Er dachte an sein kleines Häuschen in der Mark Brandenburg. Langsam fuhr er die Birkenallee entlang darauf zu, sah die Sonne durch die Baumkronen schillern und schlief selig ein.

* * *
    Das Café Revolte gehörte zum Urgestein der Neuköllner Kneipen. Es sah aus als wäre es seit der Eröffnung in den 60er-Jahren kein einziges Mal renoviert worden. Auf allem lag die Patina von Jahrzehnten, mit Ausnahme der Edelstahlrohre des Lüftungssystems, die sich unter der Decke durch die Kneipe zogen und die verbrauchte Luft durch einen Auslass im Fenster nach draußen transportierten. Das System funktionierte überraschend effektiv. Obwohl die meisten Gäste rauchten, war die Luft erstaunlich gut.
    Nach den Blicken zu urteilen, die sie musterten, war Sarah der einzige Gast, der das erste Mal hier war. Das Revolte gehörte augenscheinlich zu den Kneipen mit einer sehr langen Tradition von Stammgästen. Auch der Wirt hinter der Theke sah sie mit erwartungsvollem Blick an. In seinen Augen spiegelte sich das Erstaunen über Sarahs modisch elegante Erscheinung, die ganz und gar nicht ins Revolte passte. Erst als sie sich ein Jever bestellte und nicht nach einem Glas fragte, als er die geöffnete Flasche vor sie auf die Theke

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