Spinnefeind
Kreditkartennummer und das Ablaufdatum haben will, aber was sind ein paar Ziffern wie diese schon wert.
Dieser verdammte Schnupfen piesackt ihn seit Tagen. Er reißt ungeduldig die Schreibtischschublade auf und fingert nach dem Päckchen Tempos. Es ist wirklich von Vorteil, alles exakt aufzuräumen und abzulegen. Er muss nicht einmal hinschauen. Neben dem Päckchen liegt der Schlüssel für den Kasten im Seitenfach des Sekretärs. Die Pistole ist dort gut und sicher verwahrt. Er hat sie aus Beständen der DDR gekauft, eine Makarov MP 654. Erst vor wenigen Monaten. Wenn die Brüder das wüssten … nach außen hin betonen sie Gewaltlosigkeit und Frieden. Wenn er es nicht besser wüsste. Wenn er nicht wüsste, dass … aber wozu sich Gedanken machen. Aus diesem Netz kommt er nicht mehr raus. Er ist ein Gefangener, sie haben ihn einmal rausgehauen, vor Gericht, und das war durchaus riskant für den Dicken. Immerhin hätte er sich für befangen erklären müssen, aber da gab es genug juristische Schlupfwinkel. Das Verfahren war fair, sagt der Dicke, wenn das Gespräch darauf kommt, und das Urteil gerecht. Es gibt nichts zu meckern.
Der Mann streckt sich und schließt kurz die Augen, bevor sie erneut den Bildschirm fixieren. Früher hat er gespielt, bis seine Schultern vor Schmerzen zu bersten schienen. Nächte saß er vor dem Rechner, die Augen trüb und rot gerändert. Zum Essen hatte er kaum Zeit. Er sollte nicht wieder damit anfangen. Nicht jetzt und nicht später. Nie mehr. Er weiß es und legt dennoch Karte um Karte. Jetzt ist die Schallmauer durchbrochen, und mit jeder Minute, mit jeder neuen Partie wird es schwerer, aufzuhören. Besser als Alkohol, redet er sich zu und raucht. Immer noch besser als Alkohol. Er fühlt sich schmutzig.
Das Telefon. Schon wieder. Können die Brüder ihn nicht in Ruhe lassen? Er hebt den Hörer ab. Vielleicht ist das seine Chance. Während er telefoniert, kann er nicht spielen. Es wäre so leicht, auf ›Logout‹ zu klicken. Raus aus allem. Nur raus. Er sehnt sich nach einer Dusche. Er hustet und sagt seinen Namen ins Telefon.
Aber es ist keiner der Brüder.
24. Anjas Versuch
Valente war längst weg. Es war kurz nach zehn Uhr abends, und immer hatte Katinka noch nichts von Hardo gehört. Während sie sich vor dem Fernseher einrichtete, stellte sie sich vor, wie es im Kommissariat I zuging. Aufgeregtes Diskutieren, konzentriertes Arbeiten, überall künstliches Licht, trotz der Sommernacht, überall Anspannung, Fieber, Jagdtrieb. Der auch in ihr erwacht war wie in einem Hund, der auf dem Sofa schnarchte, aber beim Anblick eines Hasen losspurten musste. Einfach hinterher. Instinkt.
Als ihr Handy klingelte, nahm sie sich nicht die Zeit, auf das Display zu schauen.
»Palfy?«
»Hannes hier.«
»Was ist los?«
»Es ist wegen Anja. Sie will sich mit Kaminsky treffen.«
»Wann? Wo?«
Verfluc ht, wieso rückte er nicht raus! Katinka spürte den Schweiß im Nacken. Sie schaltete den Fernseher aus.
»Im ›Lichtspiel‹-Kino. Jetzt gleich, zum Spätfilm.«
Zum Teufel mit diesen Kindern! Katinka warf die Fernbedienung auf das Polster.
»Ihr seid also in Bamb erg?«
»Wir sind zurückgetrampt.«
Ja, ist ziemlich ungemütlich, so ohne Dusche und Internet im Wald, dachte Katinka.
»Nun lass dir verdammt noch mal nicht alles aus der Nase ziehen! Warum ist Kaminsky in Bamberg? Und was will Anja von ihm?«
»Ich weiß nicht. Ich wollte ihr das ausreden, aber …«
»Erzähl mir doch kein Märchen, Hannes! Du weißt es. Es kann doch nur einen Grund geben: Sie will ihn erpressen. Glaubst du, Kaminsky ist so dämlich, dass er da mitspielt? Denk dran, dass seinesgleichen mächtige Kumpels hat. Habt ihr vergessen, wie Falk umkam? Um Himmels willen, ist euch klar, in welche Gefahr Anja sich da begeben will?«
»Sie ist schon los«, kam es kläglich von Hannes.
Katinka blies sich den Pony aus dem Gesicht. Das war ja klar. Nachgerade folgerichtig.
»Zieh dir die nächstbeste Bettdecke über die Ohren!«, sagte sie. »Und tschüss.«
Sie rief Hardo an, aber der war nicht zu erreichen. Mit Mühe und Not bekam sie einen Kollegen aus seiner Ermittlungsgruppe an die Strippe und schilderte die Situation.
»Kaminsky wird sich nicht erpressen lassen«, sagte Katinka, während sie das Handy zwischen Ohr und Kinn einklemmte und die Beretta umschnallte. »Er ist so weit gekommen, ohne für irgendwas bezahlen zu müssen, wieso sollte er sich ausgerechnet jetzt in die Enge treiben lassen.«
Der
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