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Spinnefeind

Spinnefeind

Titel: Spinnefeind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederike Schmöe
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nicht.«
    »O.   k. Setz dich hin. Leg die Hände auf die Armlehnen.«
    Anja sank auf den Sessel und zog instinktiv die Beine an. Kaminsky hielt die Pistole an ihre Stirn. »Aber mach keinen Blödsinn.«
    Ich kriege ihn rum, dachte Katinka. Gebt mir Zeit, und ich kriege ihn rum, und wir marschieren hier alle drei quicklebendig raus. Sie konnte Anjas Gesicht nicht mehr sehen, und irgendwie schärfte sich dadurch ihre Konzentration. Sie musste so tun, als gäbe es Anja nicht, als sei sie gar nicht anwesend in dem schummrigen Kinosaal. Als gäbe es nur sie und Kaminsky, zwei Menschen aus Fleisch und Blut vor den Zelluloidfiguren aus dem Film.
    »Kommen Sie mit mir hier raus«, sagte Katinka.
    »Nie im Leben. Es gibt keinen Ausweg.«
    Plötzlich stoppte der Film. Katinka starrte auf die Leinwand, als erwarte sie, dass die Schauspieler sich erstaunt umsahen. Auch Kaminsky hatte bemerkt, dass der helle Lichtstrahl, in dem der Staub gerade noch getänzelt war, erloschen war. Er denkt dasselbe wie ich, schoss es Katinka durch den Kopf. Er denkt an den Vorführraum da oben und stellt sich genau wie ich vor, was in dem Kabäuschen abläuft. Verflucht, warum haben die …
    Kaminsky machte eine schnelle Bewegung. Seine Hand, in Anjas langem Haar verkrallt, zuckte, und Anja schrie auf. Kaminsky nieste und fuchtelte gleichzeitig mit der Pistole vor Anjas Gesicht herum. Katinka schloss die Augen. Sie sah es voraus. Sie hörte Kaminsky rufen: »Ihr kriegt mich nicht«, hörte ihn ein zweites Mal niesen und hörte den Schuss, der ihre Ohren betäubte. Sie warf sich auf den Boden zwischen die Kinosessel. Neben ihrem Gesicht lag ein Häufchen Popcorn.
    Helles Licht flammte auf. Es dröhnte noch ein Schuss, und Kaminsky schrie. Aber Anja blieb still.
    Katinka blieb eine ganze Weile neben den Popcornresten liegen. Ihr Gleichgewichtssinn machte Sperenzchen, sie kam sich vor wie auf einem in der Dünung rollenden Schiff. Sie hielt sich die Nase zu, um den Schmauchgeruch nicht atmen zu müssen. Sie hörte Stimmen, Schritte, Geschäftigkeit. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Kaminsky weggeführt wurde. Er hielt sich den linken Arm, und Blut troff zwischen seinen Fingern hervor. Anja brachten sie nicht mit heraus.
    »Katinka?«
    Hardo stand da und sah sie an. Er hockte sich hin, hielt ihr die Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen. Sie schüttelte stumm den Kopf.
    »Steh auf!«
    Hätte er ein einfühlsames Gespräch begonnen, sie wäre liegen geblieben. Doch sein Befehlston erinnerte sie an ihren Beruf. Sie rappelte sich auf.
    »Er hat ihr mitten ins Gesicht geschossen«, hörte sie jemanden sagen. Sie wollte nicht hinsehen, tat es aber doch, denn es würde sie so oder so verfolgen. Der Tod ging einem immer hinterher, er war anhänglich, und über die Wirklichkeit war leichter hinwegzukommen als über Fantasievorstellungen, die sowieso nur Fragen und Zweifeln und Selbstvorwürfen das Feld überließen.
    Sie sah Blut. Ziemlich viel Blut und etwas Weißes. Anja hatte kein Gesicht mehr, und das machte es leichter, denn ein Mensch ohne Gesicht spürt keine Schmerzen und keine Angst.
    Im Vorraum brach ein Tumult los. Einigen gingen die Nerven durch.
    »Ich will zu meiner Freundin!«
    »O Gott, Hannes«, flüsterte Katinka. Hardo drehte sich abrupt um und lief den Gang entlang auf die Saaltür zu.
    »Sie bleiben hübsch draußen!«, sagte er.
    Doch irgendwie arbeitete Hannes sich durch. Er war in Panik, und die dunklen Ahnungen gaben ihm Kraft und eine Geschicklichkeit, gegen die Hardo nicht ankam.
    »Nicht«, sagte Katinka und stellte sich ihm in den Weg. Es war zu spät, und sie wusste es. Kraftlos ließ sie ihn vorbei und verließ den Kinosaal. Im Vorraum sank sie auf einen der Bistrostühle und barg ihr Gesicht in den Händen. Hardos Hand strich über ihr Haar.
    Ich kann nicht. Ich kann nie mehr … Sie hörte Hannes’ Schreien aus dem Saal, die leisen Tritte der Polizisten, die das Kino verließen, stumm, als wäre jedes Wort zu viel und unerträglich.
    Hannes weinte wie ein Baby. Hoch, schrill, und in diesem Weinen lag nur Gegenwart. Ein Entsetzen, das keinen Anfang und kein Ende kannte, keine Vergangenheit, keine glückliche Verliebtheit und keine Zukunft, keinen Trost. Der junge Mann war in einer Schlinge gefangen, aus der ihm im Augenblick nur der Notarzt mit einem Chemiecocktail helfen konnte.
    »Lasst ihn wenigstens noch eine Weile heulen, bevor ihr ihn lahmlegt«, murmelte Katinka, als Sanitäter und Arzt an ihr vorübereilten.
    »Komm«,

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