Spinnefeind
überzeugt, dass Kazulé den Mord in Auftrag gegeben hat. Die Polizei hat keine Anhaltspunkte gefunden. Wie können Sie dann so sicher sein?
Weil es keine andere Möglichkeit gibt, die sich so stark aufdrängt.
Entscheidend wären Beweise.
Leider verfüge ich über keine Beweise. Schauen Sie, Kazulé wollte unbedingt nach München. Dort sitzt seine Geliebte, haben Sie das gewusst?
Warum ließ Kazulé Jens Falk töten?
Da fragen Sie ihn besser selbst. Aber wenn Sie meine Auffassung hören wollen: Kazulé fürchtete, Falk könne zu viel wissen, womöglich Quellen aufgetan haben, die ihm, also Richter Kazulé, verschlossen waren. Er konnte ja nicht ahnen, dass die Akte, die Falk seinen Schülern immer wieder so schmackhaft machte, ein stumpfes Schwert war.
Sie glauben, dass Anja Kaminsky erpressen wollte?
Erpresser leben gefährlich und sind meist schneller tot, als sie ›piep‹ sagen! Diese Kinder sind noch viel zu jung, um ihren eigenen Urteilen trauen zu können! Verspielt wie Katzenbabys! Mit ihrer Passion für Codes stürzten sie sich in eine Fantasiewelt. Konzentrierten sich auf Verdächtigungen, hatten ausschließlich Kaminsky im Visier. Soll ich Ihnen sagen, weshalb?
Nur zu.
Valente hasst seinen Vater vielleicht, aber er ist doch der Sohn dieses Mannes. Valente und die anderen haben sich auf Kaminsky als Übeltäter eingeschossen, weil Valentes Vater ihnen trotz allem zu nahe steht. Sie halten ihn für einen Mistkerl, aber nicht für einen Mörder. Nur ferne Unbekannte taugen als Unholde. Das ist das Geflecht, das Kazulé sich geschaffen hat und das ihn trägt und schützt. Soll ich Ihnen noch etwas sagen?
Bitte.
Der Mord an Anja ist für Kaminsky eine Läuterung. Er wird wegen Mordes verurteilt. Nun nimmt er die Strafe auf sich, die er damals in Kulmbach so eifrig abgewendet hat.
Die Polizei hat keinerlei Beweise, nicht einmal einen begründeten Verdacht, dass Kazulé die Killer bestellt haben könnte.
Dann tun Sie etwas, um ihn wenigstens zu piesacken. Schreiben Sie etwas! Schreiben Sie eine Geschichte, die das alles zusammenhält. Hinterfragen Sie! Forschen Sie über die Cavalieri !
Warum hat Falk Ihnen als seiner Anwältin nicht sofort gesagt, dass Rita ihn für ihre Ziele eingespannt hat?
Aus Angst vielleicht?
Wo haben Sie sich die Tage nach dem 20. Juli versteckt?
Versteckt?
Die Polizei hat Sie nicht aufgetrieben.
Ach was.
Danke, dass Sie sich mit mir getroffen haben, Frau Müller.
Mit Vergnügen, meine Liebe. Noch Tee?
Katinka legte die Abschriften weg und hob den Kopf. Sie und Britta saßen auf der Terrasse des ›Riverside‹. Sonnenstrahlen brachen aus den Wolken hervor. Der August war so kühl und verregnet nach dem heißen Juli, dass man an den Sommer kaum noch glauben mochte. Katinka fühlte sich steif und kalt. Unten auf dem Kanal glitt ein Frachtschiff vorbei.
»Was willst du mit dem Material machen?«, fragte sie.
Britta sog nachdenklich an ihrem Strohhalm.
»Weiß n och nicht«, gab sie zu. »Aber die Geschichte ist so absonderlich, ich konnte sie mitsamt ihren Akteuren nicht einfach vorüberziehen lassen.«
Drei Tote, dachte Katinka. Mein Gott. Drei Tote! Das ist nicht absonderlich, das ist tragisch, zerreißt mich, macht mich fertig. Welches Recht habe ich, auf diesem Planeten herumzulaufen, jung, gesund, auf meinen zwei Beinen. Während Doris Wanjeck, Jens Falk und Anja dieses Recht verwehrt ist. Katinka quälte sich seit Tagen mit dem Gespräch, das sie mit Anjas Mutter geführt hatte. Vielleicht um ihre Schuld ein Stück weit abzutragen, war sie zu Lilo Spachtholz gegangen, worauf Lilo beinahe durchgedreht war. Nun lag sie in der Nervenklinik. Akut selbstmordgefährdet, bescheinigten die Ärzte. Nicht noch ein Toter, dachte Katinka. Wenn Lilo aus der Trübnis ihrer Medikamente erwacht, was geschieht dann mit ihr? Wie viele Therapien wird sie durchziehen, abbrechen, wird sie anfangen zu trinken, abstürzen, zusammenbrechen, oder wird sie darüber hinwegkommen, irgendwann, nach Jahren?
»Du kannst nichts dafür, Katinka«, sagte Britta, während sie ihre Aufzeichnungen in einen Hefter schob. Sie sagte es zum dreitausendsten Mal, mindestens, und Katinka wusste, sie sollte ihr dafür dankbar sein, aber reden nützte hier nichts. Sie schwankte zwischen Überdruss, Hoffnung, Schmerz, Schuld und wieder Hoffnung.
»Kazulé hat dir ziemlich offen gedroht«, sagte sie zu Britta.
»Zwischen den Zeilen, ja. Interessiert mich nicht mehr, die Zeitung ist mich bald los.
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