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Spinnefeind

Spinnefeind

Titel: Spinnefeind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederike Schmöe
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genau der richtigen, konisch zulaufenden Keramiktasse, die der Barista vorgewärmt und trockengerieben hatte.
    »25 Milliliter Wasser pro Tasse auf sieben Gramm Kaffeepulver«, sagte Rita. »Gepresst bei neun Bar Druck in der Maschine, maximal 25 Sekunden Presszeit, keinesfalls länger, weil sonst zu viele Bitterstoffe ausgeschwemmt werden. Knappe 90 Grad Wassertemperatur beim Pressen, knappe 70 Grad Trinktemperatur, 100 Milligramm Koffein, und es entsteht ein Trank, den ich persönlich als Essenz allen Lebens empfinde.«
    Katinka probierte den Espresso. Er war heiß und stark und hatte jenen würzigen Geschmack, der am Gaumen haften blieb, wenn man das Tässchen geleert hatte.
    »Ich habe ein Jahr in Italien gelebt«, sagte Rita. »Dort lernt man, wie Kaffee zu sein hat. In Deutschland bekommt man nur Waschwasser. Brühe, die eher als Tee durchgeht.«
    »Absolut meine Erfahrung«, sagte Katinka. »Können Sie mir erzählen, was damals mit Kaminsky passiert ist?«
    »Natürlich. Ich bin darüber hinweg. Aber manchmal, in einer stillen Stunde, kommt das alles zurück und überwältigt mich. Ich war 14. In der achten Klasse am Gymnasium. Kaminsky war mein Deutschlehrer.« Ritas Feuerzeug klickte. »Ich bin in Deutschland aufgewachsen. Meine Mutter stammt aus dem Senegal. Mein Vater arbeitete als Auslandskorrespondent für eine deutsche Zeitung in Westafrika. Die beiden heirateten. Kurz darauf kriegte mein Vater Malaria, und meine Eltern kehrten nach Europa zurück. Ich wurde in Berlin geboren. Später erbte mein Vater hier in Kulmbach ein Haus, und wir zogen um. Das nur als Vorgeschichte. Kaminsky ist ein Rassist. In jeder Klasse brauchen die Lehrer einen Prellbock, auf den sie einhacken können, wenn sie auf toll machen wollen oder die Situation in den Griff kriegen müssen. Ich war so ein Prellbock für Kaminsky. Dunkelhäutig, schwarze Locken, freche Klappe. Wo andere Lehrer ›aufgeweckt‹ oder ›motiviert‹ in mein Zeugnis schrieben, notierte Kaminsky ›widerspenstig‹ und ›unausgeglichen‹.« Rita inhalierte tief. »Möchten Sie noch was trinken?«
    »Ich muss noch fahren.«
    »Für Kaminsky war ich das Arschgesicht der Klasse. Ich war ganz gut in der Schule. Die klassische Zweier-Schülerin. Hätte schon auf manche Eins kommen können, aber warum Stress machen, wenn es mit weniger Aufwand genauso rund läuft? In der achten Klasse lasen wir ›Damals war es Friedrich‹ von Hans Peter Richter. Dann entstand eine große Diskussion. Damals waren es die Juden, die man als Sündenböcke brauchte. Wer ist es heute? Ich meldete mich und sagte rundheraus: Die Farbigen.« Rita lächelte schief. »Kaminsky war dumm genug, um dagegenzuhalten. Er behauptete, das gebe es heute nicht mehr, dass Menschen wegen ihrer Hautfarbe ausgegrenzt würden. Das wäre alles Fantasie, und wer behauptet, diskriminiert zu werden, der wolle sich nur wichtigmachen. Die Klasse hat ihn nach Strich und Faden zerlegt. Ich war die Wortführerin. Immerhin habe ich eine farbige Mutter. Dass es Rassismus in Deutschland gibt, weiß ich genau. Nach dieser lausigen Stunde war Unterrichtsschluss. Ich war mit meiner Freundin als Letzte im Klassenzimmer. Kaminsky rief mich zurück. Ich bat meine Freundin, schon vorzugehen.« Rita spielte mit dem Zigarettenpäckchen. »Ich habe ihn gefragt, was er will. Kaminsky begann, ich solle nicht so aufsässig sein. Ich gab eine passende Antwort. Kaminsky grinste gehässig und packte mich am Arm. Ich wollte mich losmachen. Er sagte nur, ich solle aufpassen. Das Debakel während der Deutschstunde hat mich wütend gemacht. Außerdem wollte ich zu meiner Freundin. Ich kriegte Panik, weil er mich nicht losließ. Er zog mir mit einem Ratsch die Hose runter, mitsamt dem Slip, fasste mir zwischen die Beine und bohrte seinen fetten Zeigefinger in mich rein. Dazu sein bescheuertes Grinsen. Er war immer schlecht rasiert, da standen noch ein paar Barthaare um seine Lippen rum. Das sah so eklig aus, wie der Speichel sich daran festhielt, bevor er über sein Kinn lief. Dann ließ er ab und sagte: ›Wenn du was erzählst, bist du geliefert. Mehr Ärger kannst du dir nicht leisten.‹« Rita sprang auf und ging zur Theke. Katinka sah zu, wie der Barkeeper zwei Getränke mixte.
    »Hier«, Rita stellte ein Glas vor Katinka ab. »Das ist alkoholfrei. Kaminsky machte das dreimal mit mir. Man muss sich das vorstellen: Er schob mir die Schuld zu. Als sei ich die Urheberin dieses zusätzlichen … ›Ärgers‹!« Sie zuckte die

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