Spinnefeind
Pöstchen verteilen?«
»So ähnlich.«
»Pffff«, machte Rita. »Da gibt es noch ganz andere Zusammenschlüsse. Das ist doch die eigentliche Gefahr für die Demokratie. Dass die Macht längst nicht mehr in den Parlamenten liegt, sondern dort, wo sich Veteranen mit Geld und Einfluss zusammentun. Machen Sie sich nicht verrückt, Frau Palfy. Von mir kriegen Sie alle Unterstützung, was Kaminsky betrifft. Rufen Sie mich an, wenn Sie etwas brauchen. Ich habe eine Rufumleitung aufs Handy. Bin jederzeit erreichbar. He, lassen Sie den Geldbeutel in der Tasche. Sie sind eingeladen.«
»Danke.« Katinka stand auf. »Ich muss los.«
Er wäscht sich die Hände.
Immer, wenn er die Tastatur bei Frau Donnerswald angefasst hat, wäscht er sich die Hände. Wenn er den Ein-Knopf der Kaffeemaschine gedrückt hat und den Schalter für Espresso mit Milch. Er bringt seine Flüssigseife mit in den Waschraum und achtet darauf, dass niemand außer ihm dort ist, wenn er sich die Hände wäscht. Zurzeit benutzt er Seife mit Magnolienduft und eine passende Handcreme. Er feilt sich erst die Nägel, wenn es abends ruhig wird, weil er meist in seiner Abteilung der Letzte ist. Die Schublade mit seinen Utensilien ist abschließbar. Nach seiner Maniküre geht er ins Internet und liest die ›Frankfurter Allgemeine‹. Er ruft, wenn er im Amt ist, immer bestimmte Seiten im Netz auf. Und andere nicht. Wenn die Profile der Internetnutzer nach Interessen und Häufigkeit abgefragt werden, will er als Intellektueller dastehen, als einer, der die wichtigen Zeitungen und Magazine konsultiert. Er weiß, dass ab und zu Profile überprüft werden. Dem Wähler wird suggeriert, dass die Beamten sauber sind. Dass man die schwarzen Schafe findet, wenn man denn will. Neulich hatte eine Mitarbeiterin Probleme, weil sie mehrfach die Bildzeitung im Netz gelesen hatte. Moniert wurde dabei nicht das journalistische Credo der Zeitung, sondern das Nacktfoto auf der ersten Seite. Er könnte sich darüber kaputtlachen. Es erheitert ihn, dass jemand überhaupt die ›Bild‹ liest. Er verachtet die ›Bild‹. Wenn er beim Bäcker diese Zeitung auch nur mit dem Ärmel streift, während er die Brötchentüte entgegennimmt, bürstet er seine Jacke zu Hause sofort ab. Das Hemd gibt er zur Wäsche. Zudem findet er, dass Leute, die im Netz so unvorsichtig sind, die ›Bild‹ zu lesen, nichts anderes verdienen als einen diskreten Hinweis beim Mitarbeitergespräch.
Er betrachtet sich im Spiegel und drückt vorsichtig auf einen mikroskopischen Punkt neben dem Kinn. Könnte ein Pickel werden. Vorsicht beim Rasieren, sagt er sich und wäscht sich noch einmal die Hände.
Wenn nur die Brüder ihn in Ruhe ließen! Er kann den Anforderungen nicht entsprechen, und er hat kein Interesse daran, ein Amt anzunehmen, das ihm selbst nichts bedeutet, nur weil andere die Vorteile für die Bruderschaft reklamieren. Alle halten ihn für kompetent, das ehrt ihn. Nicht nur die Brüder, auch alle hier im Haus. Es kostet Mühe, menschenfreundlich zu sein und dennoch den Aufgaben eines Chefs nachzukommen. Aber er gilt als fair, die Mitarbeiter sagen, mit dem kannst du reden. Das tut ihm gut. Mit ihm kann man reden. Gleichzeitig arbeitet er effektiv. Wenn es ums Geschäftliche geht, sagt sein Mund etwas Mutiges, aber in seinem Innern tobt Panik. Er nimmt Tabletten dagegen, und das funktioniert gut, der Chemie sei Dank. Er hat einen deutlichen Verdacht: Ohne die Brüder – und insbesondere ohne den einen, diesen dicken, unerträglichen Besserwisser – bräuchte er keine Medikamente. Oder weniger. Ja, wahrscheinlich bräuchte er nicht einmal ein Drittel.
Aber nun strampelt er im Netz. Auf Gedeih und Verderb, und eine Hand wäscht die andere, wie der Dicke ihm oft genug unter die Nase reibt. Diskret. Sanft. Mit einem Lächeln auf den wulstigen Lippen. Nie am Telefon, nie per Post oder E-Mail. Immer von Angesicht zu Angesicht.
An bestimmten Sonntagen treffen sie sich zum Kirchgang. Es gibt in Sendling einen Pfarrer, der im überlieferten Ritus die Messe hält, auf Latein.
Ich mag das nicht, gibt er zu und stöhnt leise auf. Nach der Messe lädt man ihn ein, zu Champagner, zu toskanischen Trüffeln, oder mal urig-bayerisch, zu Weißbier und Weißwurst, als Kontrastprogramm. In der letzten Augustwoche treffen sie sich zum Segeltörn in der Ägäis. Alles nett. Eine Gemeinschaft. Gemeinsame Ziele. Gemeinsame Wege, nicht war, Eugen?
Ausgerechnet Lilo hat sich bei ihm gemeldet. Wegen ihrer
Weitere Kostenlose Bücher