Spinnefeind
Reisegruppen würden zwei Frauen nicht auffallen, die sich in einer Bank sitzend unterhielten. Und nachher konnte Ljubov im Gewirr der Altstadtgassen verschwinden.
Kaum hatte sie aufgelegt, klingelte es wieder. Unbekannter Anrufer.
»Hallo?«
»Frau Palfy? Spachtholz hier.«
Bevor Katinka noch reagieren konnte, redete Anjas Mutter los.
»Haben Sie etwas herausgefunden? Wo könnte Anja sein? Nun sagen Sie was, schließlich sind Sie doch Detektivin, oder?«
»Ich habe keinen Auftrag von Ihnen.« Katinka dachte an Anjas ängstliches Gesicht, als sie sich in Luzis Hütte verabschiedet hatten. Sagen Sie meiner Mutter nichts.
Lilo Spachtholz regte sich ein paar Minuten auf, und Katinka legte das Handy weg.
»Ich habe einen Termin«, sagte sie endlich, als Anjas Mutter Atem holte. »Wenn wir ins Geschäft kommen wollen, schauen Sie bei mir im Büro vorbei. Hasengasse 2a. Wiederhören.«
Katinka schob ihr Rad die Karolinenstraße hinauf. Das Kopfsteinpflaster mochte schön und authentisch aussehen, aber es nervte mindestens ebenso sehr. Ohne dicke Reifen kam man als Radfahrer schlecht voran. Deswegen hatte sie sich noch im Studium ein Trekkingrad geleistet. Sie schloss es vor dem Ordinariat ab und betrat den Dom. Trotz der Menschenmassen, die sich zur Besichtigung des weltberühmten Bamberger Reiters gegenseitig auf die Zehen traten, vermittelte die Kirche eine Aura von Unberührtheit, als könne sie niemals ganz von Menschen und deren Zielen und Intentionen in Besitz genommen werden. Katinka ging zum Grabmal des Kaiserpaares, stieg zum Georgenchor hoch und sah sich um. Keine Ljubov. Katinkas Puls beschleunigte sich. Kein Wunder, dachte sie, immer wenn ich mich mit Ljubov getroffen habe, ist irgendwas Blödes passiert. Fast immer. Sie ließ den Blick schweifen. Ein Mann erklärte die Reliefe auf dem Sarkophag. »Kaiserin Kunigunde läuft barfuß über glühende Pflugscharen, ohne sich zu verletzen, ein Beweis für ihre Treue zum Kaiser.«
Ach herrje, dachte Katinka. Welcher Mann läuft über glühende Pflugscharen, um seine Treue zu einer Frau unter Beweis zu stellen? Sie musste grinsen, als sie überlegte, was Hardo zu ihren Gedanken sagen würde.
Eine Frau mit einem roten Kopftuch schritt durch den Mittelgang. Einem sehr eleganten Kopftuch, fast einer Art Überwurf. Katinka ging ihr nach. Die Frau glitt durch die Bänke zum Seitenschiff, sah sich um, öffnete die Tür zum nächstbesten Beichtstuhl und verschwand.
Katinka wartete einen günstigen Moment ab und ließ sich in der Armsünderleinkammer nieder.
»Was ist los?«, fragte sie.
»Du wolltest mich sprechen.«
»Und du hattest nichts dagegen einzuwenden. Zwickt dich dein Gewissen?«
»Es tut mir leid, Katinka, für das, was im Boxklub passiert ist.«
»So.«
»Wirklich. Ich bin in einer blöden Lage. Sergej ist mein Landsmann. Man hält zusammen unter Landsleuten.«
»Die Kerle wollten mich vergewaltigen! Sie haben es fast geschafft. Und sie sind definitiv keine Landsleute von dir.«
»…«
»Ljubov, gibt es irgendeinen Grund, warum du dich versteckt hältst?«
»Kein Kommentar.«
»Kanntest du Falk schon, bevor du seine Anwältin wurdest?« Der Schweiß brach Katinka aus. In dem engen Beichtstuhl meldete sich die Platzangst.
»Wir haben beide im Chor gesungen, um Anschluss zu finden. Aber nach der zweiten Probe hatten wir genug von dem Getratsche und den Professorengattinnen. Wir gingen eins trinken und unterhielten uns ganz nett. Das war’s. Als er verhaftet wurde, erinnerte er sich an mich und bestellte mich als seine Anwältin.«
»Aber er war nicht sonderlich gesprächig?«
»Nein. Ich machte ihm klar, dass er in einer beschissenen Situation steckt. Redete ihm zu, mir alles zu sagen, was ihn aus der Kiste rausholen würde. Aber er machte auf Minimalismus. Sein Glück war, dass die Bullen nichts gegen ihn in der Hand hatten. Nur die Striemen in seinem Gesicht und den Streit mit seiner Ex, den die Kellnerin im ›Weinfass‹ beobachtet hat. Das ist nicht besonders viel. Es ist nichts.«
Katinka legte sich ihre nächste Frage sorgfältig zurecht. Es war ein Schuss ins Blaue, aber der Fall bestand ohnehin nur aus Vermutungen, sodass eine weitere Fantasterei nichts ausmachte.
»Du hast Falk vor einer Woche abgeholt. Hast ihn heimgefahren. Bist in deine Kanzlei und hast dich kundig gemacht. Versucht, ein paar Leute anzurufen. Unter anderem Rita Bregovi ć . Warum?«
Es folgte eine lange Pause. Katinka lauschte dem Raunen der
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