Spinnefeind
Dombesucher und dem Kratzen von Schuhsohlen auf dem Steinboden.
»Rita und ich lernten uns vor über einem Jahr auf einem Anti-Stress-Seminar kennen«, fing Ljubov an. »Wir waren einander sympathisch. Rita hatte eine traurige Geschichte hinter sich. Sie schüttete mir ihr Herz aus. Sie trachtete nach Rache.«
»An Kaminsky?«
»An wem sonst!«
»An Richter Kazulé. Wäre nachvollziehbar!«
Ljubov schnaubte.
»Mit Kazulé haben etliche eine Rechnung offen.« Ljubov hustete ausgiebig. »Als ich in Bamberg als Anwältin anfing, haben mich Kazulé und seine Gesinnungsgenossen geschnitten, wo sie konnten. Ich hatte kaum Mandanten im ersten Jahr. Du kannst dir nicht vorstellen, wie wirkungsvoll diese alteingesessenen Seilschaften arbeiten. Eine Russin! Eine Frau! Geschieden! Pah, das konnte Kazulé nicht verknusen.«
Katinka unterdrückte einen Seufzer. Sie war auch von außen nach Bamberg gekommen, hatte sich aber nie als Fremdkörper gefühlt. Ganz anders als Tom. Umso besser, dass er jetzt raus ist aus der Kleinstadt, dachte sie grimmig.
»Kazulé und ich, wir sind uns spinnefeind«, drang Ljubovs rauchschwangere Stimme aus der Düsternis. »Wobei Kazulé es versteht, sich Feinde zu machen. Aber er hat mächtige Mitstreiter. Da kann er sich Feindschaften leisten.«
»Bist du noch mit Rita Bregovi ć in Kontakt?«
»Nein«, sagte Ljubov. »Nie mehr gewesen. Wir tauschten nach dem Kurs E-Mail-Adressen aus. Kontakt aufgenommen haben wir nie.«
»Letzte Woche hast du versucht, sie anzurufen, aber nicht erreicht.«
»…«
Na gut, dachte Katinka. Nächste Frage.
»Deine Kenntnisse über die Cavalieri oder wie sie auch heißen, woher stammen die?«
»Von Herrn Müller.«
»Deinem Ex-Mann? Warum nennst du ihn ›Herr Müller‹?«
Ljubov lachte leise.
»Ich bin fertig mit ihm. Ich war unsterblich in ihn verliebt. War ja noch jung. Leider liebt Herr Müller ausschließlich junge Schönheiten. Was soll’s … Herr Müller wollte bei den Cavalieri mitmachen. Aber sie haben ihn nicht aufgenommen. Er war nämlich vor mir schon einmal verheiratet. Das finden die nicht gut. Die sind katholisch.«
So kommt alles zusammen, grübelte Katinka. Kazulé will sich scheiden lassen. Sagt zumindest sein Sohn. Wird er dann aus dem Bund ausgeschlossen? Oder gelten die strengen Regeln nur für Anwärter auf Mitgliedschaft?
»Stellt man einen Antrag, um Mitglied zu werden?«, fragte sie.
Ljubov lachte rau.
»Man wird gerufen.« Sie räusperte sich. »Du solltest mehr Tschechow lesen. Er hat gesagt, dass sich das wirkliche Leben eines jeden Menschen heimlich abspielt, unter dem Deckmantel der Nacht.«
»Wusstest du, dass Falk eine Beziehung mit Rita hatte?«
»Er hat davon nichts gesagt, als ich mit ihm sprach. Aber ich habe mich am PCG umgehört. Du weißt, es ist nicht schwer, etwas über Beziehungen rauszukriegen. Darüber reden alle.«
»Hatten sie nun eine Beziehung oder nicht?«
»Ich wollte Falk fragen, als wir letzten Dienstag in der Kanzlei saßen. Aber es kam nicht mehr dazu.«
»Rita hat Falk von der Schule abgeholt. Das muss irgendwann im Mai gewesen sein. Zwischen Oster- und Pfingstferien«, sagte Katinka.
»Kann sein.«
»Wie soll ich damit umgehen, dass die drei Ganoven aus dem Boxklub alles daransetzen werden, mich fertigzumachen?«
»Zieh deine Anzeige zurück«, schlug Ljubov vor.
»Ich glaub es nicht!«
»So läuft es nun mal, Katinka.«
»Und du willst ausgezogen sein, um der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen?«
»Nicht so laut!« Ljubov unterdrückte ein Husten. »Hör zu. Sergej hat sich umgehört. Es gab einen Auftrag.«
»Könntest du deutlicher werden?«
»…«
»Du meinst, jemand hat das Killerkommando bestellt?«
»Jemand muss es ja bestellt haben. Du hast übrigens deinen Gewinn im Boxklub liegen lassen«, bemerkte Ljubov süffisant. »Sergej hat die Kohle für dich zurückgelegt. Du kannst sie abholen.«
»Wie kannst du um so viel Geld spielen?« Nur mühsam unterdrückte Katinka den Zorn.
»Ich habe genug. Herr Müller hat bei der Scheidung ziemlich geblutet, und mittlerweile verdiene ich nicht schlecht.«
»Verflucht, Ljubov!«
Ein Husten antwortete Katinka. Es entfernte sich schnell. Katinka schoss aus dem Beichtstuhl. Ljubovs rotes Tuch lag auf dem Boden des Seitenschiffes. Von der Anwältin fehlte jede Spur.
22. Das fehlende Glied
Kurz nach sieben hielten sie auf dem Parkplatz vor dem Schulgebäude, einem flachen Neubau im Kulmbacher Westen. Von hier konnte man die
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