Spinnefeind
Plassenburg nicht sehen. Dafür warfen die dicht stehenden Bäume üppigen Schatten. Katinka brummte der Kopf von der Hitze. Der Kleinwagen des Hauptkommissars besaß keine Klimaanlage. Sie bereute, nicht darauf bestanden zu haben, mit dem Beetle zu fahren. Aber ein Ermittlerpärchen im Cabrio hätte sicher nicht ehrfurchtgebietend ausgesehen.
Sie hatte von Reckens Dienstzimmer durchstöbert, während er sein Seminar hielt, und nichts gefunden. Keine Korrespondenz mit den Cavalieri , wie zu erwarten war, und den Atlas mitsamt Notizzettel hatte der Professor vermutlich in sein Seminar mitgenommen, denn sie konnte den Schmöker nicht auftreiben. Außerdem quälte sie sich immer noch mit ihrem wichtigsten Zweifel herum. Der Prozess gegen Kaminski war bestens dokumentiert. Warum sollte jemand, beispielsweise Jens Falk, einen so umständlichen Weg wählen, um sich zu rächen? Und wofür sollte Falk sich letztlich rächen?
Katinka beeilte sich, Hardo zu folgen. Am Seiteneingang erwartete sie eine junge Frau in Jeans und ärmellosem Top. Der Kommissar zeigte seinen Dienstausweis. Katinka schlüpfte hinter ihm durch die Tür.
»Hallo zusammen. Ich bin Heidi Walters.«
»Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen«, sagte Hardo.
»Kein Thema!« Heidi Walters lief leichtfüßig vor ihnen die Treppen hinauf. »Am Schuljahresende ist ohnehin unglaublich viel abzuarbeiten. Am frühen Nachmittag gehe ich heim und lege mich hin. Gegen fünf komme ich wieder in die Schule und erledige, was liegengeblieben ist.«
Das war ein Rhythmus, wie er Katinka auch zugesagt hätte. Mediterran, irgendwie. Sie betraten ein schmales Büro, dunkel wie ein Schlund.
»Das Kämmerchen ist unser Magazin. Es platzt bald aus den Nähten. Welche Unterlagen möchten Sie einsehen?« Sie warf kaum einen Blick auf Hardos Beschlagnahmebeschluss.
»Kaminsky, Eugen«, sagte Hardo.
Sie fuhr mit den Fingern die Regalreihen entlang.
»Bitte.«
»Wie lange arbeiten Sie schon hier?«, fragte Katinka die Sekretärin, während Hardo sich mit der Akte ans Fenster zurückzog.
»Erst seit diesem Schuljahr.«
»Sie kennen Eugen Kaminsky also nicht persönlich?«
»Nein.« Heidi Walters schüttelte den Kopf.
»Verwalten Sie die Neueinstellungen?«
»Es gibt einen großen Unterschied zwischen Lehrern, die neu kommen, und uns Fußvolk.« Heidi Walters wies auf einen Abschnitt in den Regalen. »Hier zum Beispiel stehen die Personalakten der Reinigungskräfte, der beiden Hausmeister und so weiter. Eine Schule ist auf viele Zuarbeiter angewiesen. Außenstehende denken immer nur an Lehrer und Schüler. Aber manchmal habe ich den Eindruck, dass Verwaltung und Instandhaltung die meisten Ressourcen frisst. Allein die Putzfrauen. Davon haben wir ein ganzes Heer. Unser Chef wird über kurz oder lang mit einer Reinigungsfirma zusammenarbeiten, dann fällt dieser Teil der Personalverwaltung für uns weg. Die Frauen, die hier putzen, haben alle noch zwei, drei andere Jobs. Viele putzen morgens oder nachts bei Gericht, in Behörden, in Kneipen und Restaurants, kommen dann nachmittags völlig übermüdet hierher und räumen die schimmeligen Pausenbrote unter den Bänken weg.«
Restaurants, dachte Katinka. Könnte es sein …
Sie sah zu Hardo hinüber. Er kniff die Lider zusammen und sagte:
»Frau Walters, würden Sie mir hiervon Kopien anfertigen?«
Er folgte der Sekretärin in den Nebenraum.
Katinka stürzte sich auf die Papphefter. Zog einen nach dem anderen heraus, scannte über die Namen und Fotos von Frauen. Von nebenan hörte sie das sanfte Rauschen des Kopierers. Mit fliegenden Fingern fummelte Katinka die letzte Akte aus dem Regal. Lena Schubransky. Angestellt als Reinigungskraft auf Vierhundert-Euro-Basis. Lebenslauf, Referenzen. Seit 2004 Reinigungskraft im Steakhaus ›Caramba‹ in Kulmbach.
Sie stellte die Akte zurück. Im Nebenzimmer hörte sie Hardo fragen:
»Wer hat Zugang zu den Personalakten?«
Katinka ging zu ihm hinüber.
»Außer mir nur der Chef.«
»Ist es denkbar, dass eine Reinigungskraft beim Putzen …«
»Denkbar?«, fragte Frau Walters. »Klar, das kann passieren. Nachmittags, wenn saubergemacht wird, ist hier nichts los. Ich bin auch nicht immer in meinem Büro, sondern sitze im Direktorat am PC.«
»Hatten Sie in den letzten Monaten das Gefühl, dass jemand sich im Sekretariat oder nebenan im Magazin an den Unterlagen zu schaffen gemacht hat?«, fragte Katinka.
»Nein.« Heidi Walters zögerte. »Nur … ein ganzer Satz Jahresberichte
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