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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rawi Hage
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steckte ihre Portemonnaies ein. Dann machte ich mich auf die Suche nach Linda.
    Sie stand schon wieder an ihrer Kreuzung. Fredao, ihr Zuhälter, stand gegenüber. Linda stieg schnell ein und sagte, Fly, fahr bei Fredao vorbei, bitte. Damit er dich sieht. Damit er weiß, dass du es bist. Sonst denkt er, du bist ein Kunde. Dann verlangt er später Geld von mir. Wir fuhren langsam an Fredao vorbei, dann nahm ich sie mit um den Block. Wir teilten uns das Geld, das ich den Jungs abgenommen hatte.
    Sie gab mir einen Kuss. Fredao darf nichts davon wissen. Ich habe ihm gesagt, dass sie nicht zahlen wollten. Dabei bleiben wir, okay? Tammer wird älter, sagte sie zur Erklärung, wir brauchen das Geld.
    Sie wollte wissen, warum Otto nicht mehr vorbeikam. Die beiden waren viele Jahre eng befreundet gewesen. Ich sagte, ich hätte ihn länger nicht gesehen.
    Für den Fall, dass uns die Polizei Ärger machte, einigten wir uns auf eine Geschichte. Die Touristen hätten versucht, Linda zusammenzuschlagen und mein Geld zu klauen. Weshalb dann der gefiederte Knüppel zum Einsatz kam.
    Aber die Jungs hatten genug, ich habe nie wieder etwas von ihnen gehört. Auch in der Zeitung stand nichts von ausgeraubten oder abgezockten oder ihrer gerechten Strafe zugeführten Touristen. Solche Idioten sind meistens zu stolz, um zuzugeben, dass sie einstecken mussten. Lieber verziehen sie sich, sie besaufen sich und lecken ihre Wunden. Am nächsten Tag sind sie schon wieder im Sportstudio, um ihre Muskeln zu stählen und sich im Spiegel zu betrachten. Ich gebe zu, es macht mir besonderes Vergnügen, diese großen, aufgepumpten Männer zu vermöbeln. Es ist nicht schwer, sie ausfindig zu machen, ihre Augen verraten sie. Wegen der Steroide wirken sie immer ein wenig paranoid, ihre ganze Existenz dreht sich um das Spiegelbild, das sie den Passanten in den Glasfassaden der Stadt zeigen. Kein Spiegel, in dem sie nicht den Bizeps spannen, sie sind wie Ballons mit gerissenen Schnüren, bewegen sich wie die ersten Menschen auf dem Mond.
    Tammer
    Über Otto und Aisha hatte ich Linda kennengelernt.
    Als Linda einmal in der Entzugsklinik war, hatte Aisha ihren Sohn Tammer mit nach Hause genommen, sie hat Otto angeschaut und gesagt: Der Junge bleibt eine Weile bei uns. Tammer hatte lockiges Haar und große, braune Augen. Er klammerte sich an eine fadenscheinige Decke, sah Otto an und sagte: Essen. Otto brachte ihn in die Küche und schmierte ihm ein Butterbrot. Der Junge aß und sagte nichts.
    So ging es einige Monate. Aisha ging morgens zur Arbeit, und Otto, der damals arbeitslos war, blieb zu Hause, um seine Leserbriefe zu schreiben und Pamphlete für verschiedene politische Organisationen zu verfassen. Wenn der Junge aus der Schule kam, gab Otto ihm zu essen. Dann half er ihm bei den Hausaufgaben. Er brachte ihm bei, sich gründlich die Hände zu waschen – er musste bei laufendem Wasser zweimal Happy Birthday singen – und die Zähne ordentlich zu putzen. Bevor er ihn ins Bett steckte, las er ihm aus Karl Marx’ Der Bürgerkrieg in Frankreich vor, indem er das Buch mit Orwell’schen Tierfiguren aufpeppte. Die Nationalversammlung und die Pariser Kommune traten als Schweine auf, die sich in einer Hütte aus Heu und Hüten verbarrikadiert hatten, sie verteidigten sich mit ihren Hauern und kleinen, stinkenden Furzbomben. Aus Monsieur Thiers, einem königstreuen Politiker, der für die Niederschlagung des Aufstands verantwortlich war, machte Otto einen bösen Wolf, der das Haus niederreißen und die Schweine fressen wollte, weshalb er sich mit den preußischen Bären verbündete und um den Segen des verlotterten, raffgierigen Zuavenpapstes bat, eines Löwen …
    Eines Tages rief Aisha von der Arbeit an und sagte zu Otto: Pack seine Sachen, seine Mutter ist wieder da.
    Aisha brachte Linda mit nach Hause, sie war dürr geworden, ihr einziges Gepäck war eine Plastiktüte mit ein paar Kleidungsstücken. Tammer blieb stehen, als er sie sah, sie weinte. Wie aus weiter Ferne betrachtete er sie.
    Komm her, Baby, sagte sie. Komm, wir gehen nach Hause. Das Kind sah erst Otto an, dann seine Mutter, es rührte sich nicht vom Fleck. Linda weinte und sagte: Erinnerst du dich nicht an Mama? Komm schon, Baby, komm. Sie trat näher, kniete vor dem Jungen nieder und schloss ihn fest in die Arme. Mit starrem Blick sah er über ihre Schulter durch das kleine Fenster hinaus in den Himmel.
    Aisha weinte jetzt ebenfalls. Otto nahm ihr den Koffer des Jungen ab und ging mit

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