Spinnen füttern
Linda und dem Kind in den Flur.
Linda, ruf uns bitte an, wenn wir etwas für Tammer tun können. Er ist ein besonderer Junge, er gehört jetzt ein bisschen auch in unser Leben … Du kannst ihn jederzeit vorbeibringen, unsere Tür steht ihm immer offen.
Vielleicht, ja, sagte Linda und nahm den kleinen Koffer. Vielleicht tue ich das. Ich weiß, ich kann mich auf euch verlassen.
Bolero
Am Montag um acht stand ich vor dem Haus des Mannes. Ich war müde, mein Auge war noch rot von dem Schlag, den mir der Sportsfreund verpasst hatte. Ich wartete zehn Minuten und wollte schon wieder fahren, als um genau Viertel nach der Mann aus seinem Haus trat und mit breitem Schritt auf mich zukam.
Kennst du dich in der Stadt aus?, fragte er.
Niemand kennt sich so aus wie ich.
Das war es, was ich hören wollte, sagte der Mann. Fahr mich ins Bankenviertel.
Er nannte nie die Adresse, immer nur die Kreuzung, an der ich halten sollte. Er bat mich zu warten, verschwand und kehrte nach wenigen Minuten zurück. Manchmal sah ich, wie er einem Bürokraten die Hand schüttelte oder sonst einer zwielichtigen Gestalt in einem Anzug.
Es beeindruckte ihn, wenn ich Abkürzungen durch Gassen und Höfe nahm. Ich verstand gleich, was hier los war. Er sammelte Geld ein und überwachte seine Dealer, und ich fuhr ihn herum.
Schließlich fragte er mich nach meinem Namen.
Nenn mich Fly, sagte ich.
Er lachte. Ich mag den Kerl, er ist vorsichtig. Dann sagte er: Fly, du bist ein Mann voller Widersprüche. Manchmal bist du ehrlich, und dann wieder bist du es nicht.
Ich lächelte.
Mann, warum hast du neulich die Tüten nicht behalten? Da waren gute, verdammt teure Klamotten drin.
Ich habe keine Freundin, sagte ich.
Er lachte laut und reichte mir einen großen Geldschein. Du bist eine echte Fliege, Junge. Ich rufe dich an, wenn ich dich brauche. Geht das in Ordnung?
Ja.
Cool. Dann flieg mal wieder los, Fly.
Ich hatte Hunger und fuhr ins Café Bolero. Ich aß etwas und ging dann rüber zu den Spinnen. Sie unterhielten sich über ihre Fahrten, wer sich in ihren weit aufgestellten Türen verfangen hatte. Ich höre ihnen gern zu, besonders wenn sie verträumt von den Häusern erzählen, die sie in den Bergen in Übersee bauen wollen. Sie flicken sich Geschichten zusammen, sie klöppeln und drehen und stricken daran, sie fügen Ideen und Wünsche aneinander. Dann flechten und vernähen sie Wahrheit und Lüge zu immer längeren Strängen, bis sie an den Anfang zurückkehren. Sie zeigen und deuten, sie gestikulieren, sie winken, wollen hierhin und dorthin, deuten die kürzere oder die längere Strecke an, oder Kunden, wie sie einsteigen, losreden, lauter werden und sich aus dem Staub machen.
Von oben, von einem Ort irgendwo über den Tischen, kam Musik.
Nummer 53, den ich Tanzspinne nenne, stand in der Schlange, um Essen zu holen. Er schien sich leicht im Klirren und Klappern des Bestecks zu wiegen. Es ist jedes Jahr das Gleiche: An den Karnevalsabenden stellt die Tanzspinne gegen elf den Wagen ab, geht zum Club Ballayou und tanzt mit ganzen Kontingenten von Frauen den Balla Balla, den Bachata und den Rumba. Diese Frauen wohnen irgendwo tief in der Provinz und lassen sich mit Bussen herankarren, um im berüchtigten Ballayou das Tanzbein zu schwingen. Egal, wie alt, wie rund und sinnlich sie sind, ob sie verheiratet sind oder ledig, sie lassen den Fernseher mit Sam und Bob darin zu Hause stehen, weil sie von den anzüglichen Seifenopern mit ihren unechten Helden gelangweilt sind. Diese Damen wollen tanzen, sie wollen etwas zu greifen haben, etwas Wirkliches, sie wollen Schenkel spüren, feste Muskeln. Es gibt keinen Ersatz für das, was sich rührt und was man berühren kann, für die Gerüche und Absonderungen des Fleischs, die weite Umarmung eines Arbeiters, für wacklige Absätze und das Parkett des Tanzbodens, auf dem wir uns drehen.
Das Ballayou ist der schwach glitzernde Nordstern, der Ort, an dem die Liebe waltet, die alles überbrückt – Weltmeere genau wie die kleinlichen Wälle der Kultur. Hier werden Augen geöffnet, selbst die Augen der verklemmtesten, zögerlichsten, strengsten Arschlöcher. Es heißt, dass jede Frau mindestens ein- oder zweimal aufgefordert wird und dass keine allein nach Hause gehen muss. Die Damen dürfen ihre hochhackigen Schuhe sogar auf Tischen präsentieren, an denen dunkle Männer mit glänzenden Augen sitzen, die ihre Lippen lecken und mit der Zunge jeden Tropfen des süßen Nektars auffangen, der von oben
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