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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rawi Hage
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ich zum Beispiel Ralph Ginzburgs Gemächlichen Blick auf das Erotische zur Hand, Rey Anthonys Promiskes Verhalten – Fibel für die wählerische Hausfrau und Restif de La Bretonnes Freuden und Irrungen eines gutherzigen Schürzenjägers . Auch die Lektüre von weniger anspruchsvollem Material kann, das darf ich dem Leser versichern, gelegentlich zielführend und durchaus erfreulich sein. Wenn mir danach ist, greife ich deshalb zu Titeln wie: Die Abenteuer der Krankenschwester Lilly , Das Hausmädchen mit der goldenen Peitsche , Ein Spaziergang über den Roten Boulevard . Ein Stück weiter, auf einem leicht zugänglichen Regal, findet sich eine lustvolle Sammlung religiöser und asketischer Werke, darunter eine Trilogie der Geißelungen . Es sind drei bestens erhaltene Erstdrucke: Die Kunst der Geißelung bei den Perversen , Die Kunst der Geißelung bei den perversen Frommen und Die Kunst der transzendentalen Geißelung , die sicherlich als Meisterwerk zu bezeichnen wäre, enthielte sie nicht eine lange und unnötige Abhandlung über die Frage, wie man einen Ochsenschwanz beschaffen und eine Peitsche aus ihm drehen kann.
    Ich wollte gerade den Motor zünden und nach Hause fahren, um mich auf dem Teppich meines Vaters auszustrecken und in den Büchern meiner prachtvollen Sammlung zu »lesen«, als ein Mann in meinen Wagen stieg. Er duftete nach teurem Parfüm und trug ein Hemd mit einem hohen, weißen Kragen. Sein Anzug war aus Seide, sein Hut war so wuchernd und exzentrisch, dass er meinen Blick durch das Rückfenster vollständig blockierte. Was ist denn hier los, fragte ich mich, bestimmt kommt der aus dem Theater. Ich fuhr über Brücken und durch Tunnel, glitt über sporadisch beleuchtete Gassen und schlüpfte unter Schlafzimmerfenstern hindurch, deren Vorhänge einladend aufgezogen waren.
    Sagen Sie – er hatte einen falschen britischen Akzent, vielleicht einen südafrikanischen oder australischen, wer kennt sich aus mit diesen feinen Unterschieden, sie sind ja doch alle demselben Weltreich entsprungen, denselben Schiffen entstiegen –, sagen Sie, Fahrer, sind Sie jemals in einen Unfall verwickelt gewesen?
    Jawohl, sagte ich. Nicht nur in einen.
    Erzählen Sie mir doch bitte davon.
    Na gut, sagte ich. Einmal stand ich an einer roten Ampel neben einem anderen Taxi. Einen halben Block hinter der Kreuzung stand eine Dame mit Pelzmantel und passendem Hut. Sie trug hohe Schuhe und winkte, und dieses Winken ließ all ihre Juwelen blitzen, es war, als würde sie uns ultraviolette Signale senden. Natürlich war es ihr egal, welches Taxi anhalten würde, sie winkte einfach. Es ging also darum, wer sie zuerst erreichen würde. Sie war wie die Evolution: Wer schneller, besser, verfügbarer war, bekam den Zuschlag. Der Rest war dieser Frau egal. Ich sah kurz rüber, der andere Fahrer zeigte mir den Stinkefinger. Er war übrigens im Vorteil, denn er stand auf der Spur, die dem Bordstein am nächsten war. Ich aber sagte mir, dass ich lieber sterben würde, als diesem Arschloch, entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise, diesem Arschloch die Fahrt zu überlassen.
    Schimpfen Sie ruhig, mir macht das nichts. Erzählen Sie weiter, Sie können fluchen und Arschloch sagen, so viel Sie wollen.
    Prima, sagte ich. Als die Ampel umsprang, fuhr ich mit Vollgas los. Ich lag vorn, doch er war, wie gesagt, im Vorteil, ich musste mich also vordrängeln und ihm den Weg abschneiden. Er bremste scharf, fuhr mir aber trotzdem in die hintere Tür. Dort, wo Sie jetzt sitzen, um genau zu sein. Wir sprangen aus den Autos. Er schlug sofort zu, was ich so nicht erwartet hatte. Ich lief zu meinem Wagen zurück und nahm einen gewissen gefiederten Knüppel zur Hand, den ich für Notfälle bereithalte. Doch er hatte schon sein Messer gezogen und stürzte auf mich zu. Ich schwang den Knüppel und traf ihn an der Schulter, zu spät, er hatte mich bereits verwundet, hier, an der Hand. Die Narbe können Sie nicht sehen, sie ist unter dem tätowierten Pferd. Glauben Sie mir, ich habe den Typen so lange mit der Keule verdroschen, bis er das Messer fallen ließ und nur noch wimmerte. Ich sah mich nach der Frau um, die war aber längst zu einem anderen Wagen gelaufen. Ich fuhr gleich zu einem Freund, der im Krankenhaus arbeitet. Er säuberte meine Wunde und nähte sie ohne Betäubung.
    Hat das wehgetan?, fragte der Mann.
    Ja, das hat es.
    Welche Einstellung haben Sie denn zum Schmerz?
    Wie meinen Sie das? So allgemein?
    Sagen wir mal, ich meine es

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