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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rawi Hage
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ihnen begegnet. Ich rührte sie nicht an. Ich entfernte mich weiter von dem Dolch, die Bedrohung erregte mich sexuell. Ich wartete nur darauf, dass sie ihn ergreifen und mich erstechen würde. Ich malte mir aus, wie sie die Klinge in meine Brust stoßen und dabei den Namen ihres Vaters rufen würde. Nach all den Feldzügen, nach Beute und Triumphgeschrei waren Schönheit und Gewalt das Einzige, was mich noch in existenzieller Weise berühren konnte. Am liebsten hätte ich in dem Augenblick ejakuliert, als mir der Dolch brennend die Haut aufschlitzte und mir ins Fleisch drang. Ich wollte ihren Blick, ihren ekstatischen Ausdruck sehen, einen zehnfachen Orgasmus der Rache, während ich sie mit meinem eigenen bespritzte. Wir wären ein ums andere Mal gekommen, immer im Namen des Vaters, den ich vor ihren Augen erschlagen hatte, und im Andenken an die Hütten, die ich verbrannt, die Plünderungen, Vergewaltigungen, Einmärsche und Vertreibungen, die ich zu verantworten hatte. Ich schwebte über dem Teppich meines Vaters und wichste und kam ( veni ), und da sah ich, wie sich die Königstochter mit dem Dolch in der Hand auf mich stürzte.
    Am Abend duschte ich. Ich legte mich eine Weile hin. Nach meiner Ermordung war in meinem Zimmer ein Bürgerkrieg ausgebrochen. Die Mörder kamen aus meiner Bibliothek, genauer gesagt, von der Küche her, denn die geschichtswissenschaftlichen Werke hatten ihren Platz gleich über der Spüle, neben dem Regal mit den Kaffeetassen. Männer heulten und Frauen kreischten, und das Leid, das der Krieg anrichtete, ergriff mich so, dass ich Jacke und Hut nehmen und mit dem Schlüsselbund locker am Finger zu meinem Taxi hinabsteigen musste, um auf der Suche nach Kundschaft durch die Straßen der Stadt zu fahren.
    Eine Frau stieg ein, sie trug Stöckelschuhe und einen kurzen Rock. Sie bat mich, sie bis zur Kreuzung von John Street und Fleece Market zu fahren, und ich wusste genau, wohin sie wollte. Also fuhr ich gleich in die rückwärtige Gasse und hielt am Hintereingang der Stripbar. Ich drückte aufs Taxameter und wartete.
    Sie nahm eine Handvoll Kleingeld und warf es mir ins Gesicht. Du hältst dich wohl für besonders schlau, sagte sie, du glaubst wohl, du hast den Durchblick. Sie verschwand, bevor ich mich dafür entschuldigen konnte, dass ich ein Hellseher war, einer, der durch jahrelange Beobachtung nicht nur das Körpergewicht eines Menschen, sondern auch dessen Einstellung zum Leben erraten konnte. Ein Blick in den Rückspiegel genügte, um ein streunendes Tier zu identifizieren und die Fährte seines schlingernden Lebens. Ein Blick nur, die Art, wie sie auf der Straße gestanden und ihre Handtasche gehalten hatte, wie sie zum Wagen geeilt war, weil sie die besoffene Kundschaft satthatte und die Beamten, die am Freitag zur Happy Hour kamen, ein Blick genügte: Ich sah und ich verstand.
    Haar
    Am nächsten Tag gegen Mittag rief der Dealer an.
    In einer Stunde, an derselben Stelle. Du fährst meine Freundin zum Shoppen. Wenn du unten bist, hupst du, dann kommt sie runter.
    Ich hatte noch ein, zwei Fahrten, um Viertel vor eins fuhr ich zur Wohnung des Dealers. Ich hupte und wartete. Die Freundin kam eilig zum Wagen und stieg ein. Sie trug eine große Ledertasche, an der eine Menge Falschgold klimperte, ein grelles Outfit und sehr hohe Absätze. Auf zum Shoppen!, sagte sie, sie wollte auf direktem Weg zur Main Street.
    Wir fuhren schon, als ich sie von hinten »Halt« schreien hörte. Sofort hielt ich an und fragte, ob sie etwas vergessen hätte.
    Ja, also. Das Geld.
    Ich fuhr um den Block und hielt vor dem Haus.
    Hupen Sie mal, Fahrer. Hupen Sie, dann kommt er bestimmt runter.
    Ich tat, wie sie verlangte, schon trat der Dealer heraus. Er grinste hämisch, lehnte sich in den Wagen und sagte, was vergessen?
    Komm schon, Baby, zeig mal, wie großzügig du sein kannst.
    Durch meinen Seitenspiegel sah ich, wie der Mann ein dickes Geldbündel aus der Tasche zog.
    Alles, Süßer, sagte sie.
    Er gab ihr ungefähr die Hälfte.
    Zee, den Rest auch noch!, sagte sie. Komm schon, dann tu ich dir später einen besonderen Gefallen.
    Ich dachte, es ist irgendein Schlussverkauf, sagte er. Hast du nicht was von Schlussverkauf gesagt?
    Komm schon, Süßer, der Taximann beobachtet dich.
    Er reichte ihr zwei Scheine durchs Fenster, drehte sich um und verschwand im Haus.
    Verdammter Geizkragen, sagte sie. Achten Sie darauf, dass er immer gleich bezahlt, hören Sie? Lassen Sie sich nichts vormachen, und seien Sie

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