Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rawi Hage
Vom Netzwerk:
Schlacht.
    Wir gingen die Treppe hinauf. Wir waren noch nicht oben, da sah ich schon eine gigantische Schaukel, an deren Seilen Blumen rankten. Ja, mein lieber Fahrer, sagte der Mann, als ich ihn danach fragte, es handelt sich um eine Schaukel, mit ein wenig Phantasie können Sie sich ausmalen, wozu sie gut ist. Für Sie ist es eine Schaukel, aber für mich ist es die Schöne Welle der Gezeiten. Denn diese Welt ist ein einziges, nennen wir es, Va et vient , wie die Franzosen sagen … Da entdeckte ich in einer Ecke einen Flipperautomaten. Ein Flipper!, rief ich glücklich und überrascht. Ja, sagte der Mann, er steht hier für die Gelangweilten, die Fortgestoßenen, die den Freuden des Lebens nichts mehr abgewinnen können. Auf dem Weg in die nächste Etage sahen wir Männer, die an das Geländer gekettet waren, darunter einen, der, am Metall lehnend, schlief. Er trug nur eine Unterhose. Ein anderer ebenfalls angeketteter Mann zählte laut unsere Schritte. Als wir oben waren, rief er uns nach: Lass los, Sisyphus!
    Wir kamen in einen großen, offenen Raum voller Leute, die tanzten und tranken. Einige lagen in den Schößen ihrer Freunde und rauchten. In einer Ecke befand sich eine große Leinwand, auf der Marlene Dietrich im Blauen Engel sang. Auf der anderen Seite hing ein Bildschirm, auf dem eine einzige Szene von zwei ineinandersteckenden, fickenden Hunden endlos wiederholt wurde.
    Irgendwo mittendrin drängten sich Zuschauer um einen Mann, der von einer maskierten, federgeschmückten Frau gefistet wurde. Auf dem Boden stand ein großer Eimer voller Gleitmittel, in den sie immer wieder ihre Hand tauchte. Der Mann jaulte. Wie laut er jaulte!
    Mein Kunde sah mich an und sagte: Was meinst du nun, diese frühen Christen glaubten wenigstens, dass der Zirkus schnell vorbei sein würde, dass sie bald in den Himmel kämen. Hier sieht es eher aus, als würde das Leiden niemals enden.
    Mich erinnert es an gewisse Passagen aus Dantes Inferno , sagte ich.
    Nur dass Dante nicht der Schmerz interessierte, sondern die Rache. Hier nimmt niemand etwas persönlich. Doch man findet an einem Ort wie diesem viele Mitglieder der herrschenden Klassen, das kann ich Ihnen versichern. Es geht nichts über den Anblick eines Richters, der um Vergebung bettelt, um einen Prediger, der GNADE MIR GOTT ruft, einen Arzt, der den Mund aufmacht, um Aaah zu sagen. Mein Herz, eine gute Komödie liebt doch jeder. Sie ist immer göttlich.
    Seien Sie ohne Furcht, mein Lieber, sagte er, sehen Sie sich um, und vergnügen Sie sich, wie es Ihnen zusagt, nichts muss und alles kann. Oder Sie gehen in die Lounge, bestellen Sie, was Sie möchten, die Rechnung geht auf mich.
    Ich ging in die Lounge und setzte mich an die Bar. Etwas abseits saß ein Mann und rauchte. Er sah mich kurz an, beugte sich herüber und sagte: T’as une tête d’arabe, comme moi , sagte er und lächelte. Taxi?, fragte er.
    Ja, woher wussten Sie das?
    Ich habe draußen das Taxi gesehen. Und Sie sind im Besucherraum, nicht drüben bei den Tieren. Wie Hunde, sie kriechen auf allen vieren wie Hunde! Ils sont pourris, mon ami. Une société de chiens ici. Comme des chiens.
    Ich heiße Cide Hamete Benengeli, sagte er. Nenn mich Hamete. Nein, nicht Hamlet. Hamete. Ich fahre auch, ich habe gleich neben dir geparkt. Ein-, zweimal die Woche fahre ich eine sehr reiche Frau hierher. Manchmal, wenn es kalt ist, komme ich herein, um Benzin zu sparen, aber im Sommer warte ich immer draußen. Ich sitze lieber in meinem Wagen als in diesem Drecksloch hier, aber das Geld, das kann ich nicht ablehnen, ich habe vier Kinder und eine Frau zu Hause … Meiner Frau erzähle ich kein Wort von dem, was ich hier sehe. Ich sitze nur da und rauche und denke an meine Kinder. Ich werde meine Töchter in die alte Heimat zurückbringen. Das ist doch kein Land hier für meine Kinder … Die Dame zahlt sehr gut, nur deshalb halte ich es hier aus, ich sitze hier und betrachte diese Zügellosigkeit, und draußen in meinem Wagen läuft die Uhr. Ça va pas rester comme ça, mon ami , sagte er. Ça va éclater. L’occident est pourri .
    Ich hätte Hamete gern einen ausgeben, doch er meinte, er würde das Zeug in dieser Bar nicht anrühren, nicht weil er abstinent sei, sondern weil er Angst habe, sich an den Gläsern anzustecken. Wenn ich hier fertig bin, sagte er, fahre ich gleich nach Hause, ich wasche mich und werfe meine gesamte Kleidung in die Wäsche, ich mache sofort die Waschmaschine an. Meinen Kindern erlaube ich

Weitere Kostenlose Bücher