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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rawi Hage
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sagte ich.
    Nennen Sie mich doch Pater John.
    Herr John, sagte ich, es geht um Mary. Es geht ihr nicht gut, ich komme in ihrem Auftrag.
    Welche Mary meinen Sie denn?
    Nicht die, sagte ich und zeigte auf eine Ikone an der Wand. Es geht um Mary, den Engel mit dem schwarzen Haar.
    Wie heißt sie mit Nachnamen?
    Das weiß ich nicht, ich habe sie nie gefragt. Wir sind aber eng befreundet, und es geht ihr nicht gut.
    Nun ja, mein Sohn, das mag sein, aber es gibt ja viele Marys. Ich kenne persönlich mehrere.
    Und wenn ich sie die Lesende Mary nenne? Sie hat immer ein Buch dabei. Sie trägt eine Brille, sie hat hübsche … also, sie hat ein hübsches Lächeln, finde ich.
    Ah, jetzt weiß ich, wen Sie meinen, sagte der Priester mit erhobenem Zeigefinger.
    Es geht ihr nicht gut, wiederholte ich.
    Ich komme mit. Haben Sie einen Wagen?
    Ich bin Taxifahrer.
    Bestens. Dann aber mal rasch, damit uns der Fahrer nicht übers Ohr haut.
    Der Priester setzte sich zu Mary, nahm ihre Hand und sagte: Wie fühlst du dich, mein Kind?
    Bitte machen Sie, dass die weggehen, Pater. Die Teufel schwirren herum, die ganze Zeit, ich höre ihre Stimmen …
    Der Priester stand auf und flüsterte: Sie muss in ein psychiatrisches Krankenhaus. Ich kenne da jemanden, auf den kann ich mich verlassen.
    Doch als der Priester Mary mitnehmen wollte, weigerte sie sich. Pater, sie sind überall, sagte sie nur.
    Ich versuchte sie zu beruhigen. Halt das Kreuz vom Herrn Priester fest, damit kannst du sie wegzappen.
    Der Priester warf mir einen strengen Blick zu, aber es schien zu funktionieren. Mary hielt sich an dem alten Priester fest, in der Hand hatte sie das Kreuz, mit dem sie auf die Türen ihrer Nachbarn und in die Winkel des Treppenhauses zielte. So schafften wir es bis zum Wagen und konnten einsteigen und losfahren.
    Am Krankenhaus half uns jemand, Mary aus dem Wagen zu ziehen. Eine Glastür ging auf, sie wurde hineingeführt. Der Priester folgte ihr, ich durfte nicht hinein. Ich blieb stehen und sah, wie meine Mary verschwand.
    Begräbnis
    Am frühen Morgen des folgenden Tags nahm ich einen Clown mit. Zumindest hielt ich ihn für einen Clown, denn er torkelte und grinste breit. Zu spät bemerkte ich, dass er betrunken war. Selbst ich, ein Hellseher, der unter allerlei Darstellern und Verwandlungskünstlern aufgewachsen war, sah die Tragödie nicht, die sich unter der Maske abspielte. Der Clown stieg hinten ein und kippte sofort um. Ich versuchte, ihn wach zu rütteln, doch er kicherte und weinte nur kurz und verlor dann das Bewusstsein. Ich fürchtete, er könnte gestorben sein – bis er anfing, zu schnarchen und nach Luft zu schnappen. Ich war so froh, dass er noch lebte, dass ich meine Jacke auszog und ihn zudeckte.
    Eine Weile fuhr ich ziellos durch die Stadt. Am Ufer stieg ich aus, ging zum Wasser und steckte mir eine Zigarette an. Den Clown ließ ich im Wagen zurück. Als nach langem Leiden die Bärtige Dame gestorben war, küsste ich ihren Bart und ging. Ich kaufte eine Schaufel und kehrte spät in der Nacht zurück. Ich wickelte den kleinen Körper in eine Decke, hob ihn auf die Schulter und legte ihn auf den Rücksitz meines Lieferwagens. So fuhr ich aus der Stadt, vorbei an Friedhöfen, an langen Reihen von Marmorsteinen, unserem unüberschaubaren, steinernen Erbe. Die Herde liegt immer dicht beieinander, heißt es bei den Arabern, doch der Dschinn schleicht allein durch die Nacht. Ich blieb im Wagen sitzen und wartete bis zum Morgengrauen. Ich grub ein Loch, kletterte auf einen Baum und schwang mich wie ein Affe von Ast zu Ast. Ich stampfte wie ein Pferd und schleuderte Staub wie ein Elefant. Meine Trauer war die Trauer der Eule, die Decke senkte sich wie ein Vorhang, der letzte Akt, ich applaudierte und schaltete das Dachschild aus und bedeckte den Rückspiegel mit einem kleinen Tuch. Allein kehrte ich in die Stadt zurück.
    Als ich zum Wagen zurückging, kam mir der Clown entgegen. Er hatte seine Hose runtergelassen, in der Absicht, seine Körperflüssigkeiten in den schnell strömenden Fluss zu mengen. Als er fertig war, pfiff ich.
    Er kam und stieg in den Wagen.
    Wohin wollen Sie denn?, fragte ich.
    Das Dream Inn, nuschelte er und sackte noch einmal bewusstlos zusammen. Ich fuhr zum Dream Inn Hotel, wo ich ihn sanft weckte und an die Rezeption brachte.
    Gleich darauf fuhr ich nach Hause und machte es mir auf dem Teppich bequem. Da klingelte das Telefon.
    Ja, sagte ich, ärgerlich, dass die Phantasie, die sich gerade zusammenbraute,

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