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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rawi Hage
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winken, das wie Frühlingsrollen aussieht. Krankenhäuser sind Narrenhäuser mit fliegenden Krankenwagen, an den Betten der Patienten hängen Klingeln, mit denen die Geister der Ärzte und Waschungen auf weißem Tuch angefordert werden, Wischmopps schwingende, über stumpfes Linoleum schlitternde Hauswarte, ein Seufzen im Anblick des letzten Sonnenuntergangs. Tiefkühlfächer voller Eis stehen bereit, um das Herz, das nicht mehr schlägt, zu betten.
    Entschuldigen Sie, mein Herr, sind Sie jetzt wach?
    Ah, da sind Sie ja, flüsterte der Priester, das Sprechen fiel ihm schwer.
    In der Tat, hier bin ich. Was gibt’s denn?
    Ich möchte Ihnen gern eine Frage stellen, mein Sohn. Denken Sie manchmal über Gott nach, über Leben und Tod?
    Ich tue eigentlich nichts anderes, antwortete ich. Ihr Gott, glaube ich, existiert nicht. Aber der Tod, der existiert. Genau wie das Leben.
    Dem Priester kamen die Tränen. Sohn, sagte er, mir ist etwas sehr Bedeutsames geschehen.
    Ich nickte.
    Ich bin gestorben, und dann bin ich zurückgekehrt.
    Wie Jesus, sagte ich.
    Ja und nein. Ich bin selbstverständlich nicht würdig, mich mit ihm zu vergleichen, aber etwas wie ein Wunder ist mit mir geschehen. Ich hatte einen schlimmen Herzinfarkt, mein Herz blieb stehen. Ich bewegte mich durch einen Tunnel, bis ich einen See vor mir hatte und meinen Vater und meinen Onkel. Es war sehr friedlich und ruhig. Doch dann wurde ich fortgezogen, rückwärts durch den Tunnel, ich spürte, wie jemand an mir zerrte, und als ich mich umwandte, sah ich Sie. Sie waren es, der mich in dieses Leben zurückgeholt hat. Sie, mein Sohn, waren es, den ich gesehen habe.
    Also, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Tut mir leid, dass ich Ihren Traum unterbrochen habe, sagte ich.
    Es war kein Traum, es war sehr wirklich.
    Also dann, eine Menge Leute können bezeugen, dass ich mich auf diesem Planeten aufgehalten habe. Ich war höchstens kurz zum Essen im Café Bolero, sonst bin ich gefahren. Ich arbeite nämlich, damit mein Leben nicht aus den Fugen gerät. Ich habe viele Fahrgäste gehabt, alle waren zum Karneval hier in der Stadt. Eine Menge verlorener Seelen, Pater.
    Ja, ja … aber, mein Sohn, wie steht es mit dem Jenseits? Glauben Sie daran?
    Ich glaube an die anderen, die Mitmenschen, ich glaube an eine Welt der Wanderschaft, sie verändert sich ständig. Ich glaube, dass ich jetzt gerade hier bin und dass ich eines Tages davonflattern werde wie ein Schmetterling, der nie mehr vom Leben verlangt hat als die Luft, die er mit seinen eigenen Flügeln angerührt hat.
    Ich glaube, dass das nicht alles ist, sagte der Priester, er atmete schwer unter seinen Schläuchen. Ich glaube, dass in Ihnen noch etwas steckt, eine Kraft, die Sie in Ihrem Wesen ausmacht. Ich glaube, dass Ihnen diese Welt gehört, aber nicht die nächste. Und Sie waren es, der mich zurückgeholt hat. Ich glaube, dass Sie eine Art Demiurg sind, ich fürchte, einer von der verlorenen Sorte. Vielleicht sogar einer von den Bösen.
    Nun, Pater, ich denke, Sie sind das eigentliche Böse, Sie und Ihre ganze Bande von geisteskranken Glaubensbrüdern, die Frauen unterdrücken und Afrikanern raten, dem Sex zu entsagen, statt sich zu schützen. Ich glaube, Sie hassen alle, die anders sind, am liebsten würden Sie dem Clown das Lachen verbieten, den Kletterer mit einer Schere von den Felsen holen, den Wanderer an die Kette legen und dem Sehenden die Augen verbinden – hasserfüllt betrachten Sie die Menschheit. Umso mehr lieben Sie sich selbst und die Macht und aufgeblasene Diktatoren. Sie halten Ihre schützende Hand über Waffenschieber und Diebe, Ihre Gnade trifft zuerst die Heuchler mit ihren frömmelnden Zungen und schmutzigen Händen …
    Der Herr möge dir gnädig sein, mein Sohn.
    Der Herr, wenn es ihn denn gibt, möge sich selbst vergeben für seine ziemlich mangelhaften Geschöpfe, die er in die Welt gesetzt hat. Jetzt gehe ich. Aber sagen Sie mir erst noch, wo Mary ist.
    Sie ist nicht mehr hier, sagte er.
    Und wo ist sie?
    Wir haben Sie an ein Kloster vermittelt in einem fernen Land.
    Wo genau?
    Das werde ich Ihnen nicht sagen. Der Umgang mit Ihnen schadet ihr nur. Sie ist in guten Händen, aufgenommen in die Gemeinschaft der Gläubigen. Es sind gute Menschen, sie gehört nun zu ihnen.
    Ich möchte trotzdem wissen, wo sie sich aufhält, damit ich ihr ein paar Bücher schicken kann.
    Nur ein Buch hat jetzt noch eine Bedeutung für sie – das Buch, das uns alle retten wird.
    Es gibt kein Buch,

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