Spinnen füttern
Wildschwein, das mich umgebracht hat, besaß kein Land außer dem, das es mit seiner Pisse an Bäumen und Steinen markiert hatte. Auch die Griechen waren keine Europäer, denn Günter und sein bleicher Stamm sind ihnen immer schon am Arsch vorbeigegangen. Die Griechen haben immer nach Osten geblickt, im Osten lagen die Olivenhaine der Assyrer, durch die sie marschiert sind, sie sind in das ägyptische Delta vorgedrungen und den stolzen Persern, ihren Erzfeinden, auf dem Schlachtfeld begegnet. Hier also lag ich und gab mich der Vorstellung hin, auf einem Teppich an einem Weinberg zu liegen, Wein zu trinken und auf Bacchus, den Eigentümer des griechischen Imbiss, zu warten, der mich auf meinem langen Weg zum Tempel begleiten sollte. Lange vor den Mongolen, den Arabern, den Hebräern und Hellenen, lange vor dem glatzköpfigen Schauspieler Telly Savalas war ich es, ich, Adonis, der in Frieden über diese Fluren wandelte. Unsere Tempel waren gut gefüllt, unsere gefügigen Töchter warteten dem Brauch gemäß darauf, von Fremden entjungfert zu werden. Danach erst erlaubte man ihnen zu heiraten und eine Familie zu gründen. Noch einmal: Dies waren die Bräuche der Kanaaniter. Es soll sogar Eltern gegeben haben, die Fremde oder Priester für den Gefallen bezahlten, weil sich kein Mann freiwillig meldete. Kein Opfer ohne Blut – unseres rann über die Schenkel unserer Frauen, es entsprang dem Ort, dem alles entspringt. Es war das Blut einer Jungfrau, das meine Schenkel färbte und den Fluss zu meinen Füßen.
Ich verließ den Tempel und wanderte ins Hochtal und weiter zum Wadi Qadisha im Libanon-Gebirge. Ein wilder Eber witterte das Blut an meinen Schenkeln und ging mit den Hauern auf mich los. Mein Blut strömte herab und färbte den Fluss rot, und rot ergoss er sich ins Mittelmeer. Das ganze Land schien in diesem Moment zu erblühen: Zedern reckten sich in die Höhe wie unbeschnittene Glieder, Wasser sprudelte aus den Quellen zwischen Nil und Euphrat. Alles pulsierte und strebte dem Höhepunkt entgegen, im Takt von Jaulern und Ejakulatoren, sie bedeckten das Land mit weißem Samen, und bis ans Ende der Zeiten sollten die Menschen glauben, es sei heiliger Schnee.
(Noch einmal) Mary
Ich wusch mich und rief Mary an. Sie schien verwirrt, sprach über ihren Mann, der ihr gedroht hatte, falls die Halskette nicht wieder auftauchen würde … und sie weinte und beschuldigte mich, sie bestohlen und ihr Vertrauen missbraucht zu haben. Ich habe die Kette für dich verwahrt, sagte ich, ich bringe sie gleich zurück. Warte, ich bin gleich da.
Ich sprang in mein Rettungsflugzeug und flog zu ihrer Wohnung. Sie war dürr geworden, sie hatte seit Tagen nichts gegessen. Sie hatte tiefe Augenränder, ihr Haar war dreckig und verfilzt. Ich gab ihr die Kette und ihre Tabletten. Sie warf die Pillen gegen die Wand und sagte: Scheiße ist das, die bringen überhaupt nichts. Ich bin nicht verrückt, ich brauche keine Pillen für meinen Kopf.
Ich nahm sie in den Arm, sie wirkte zerbrechlich. Dann ging ich zum Kühlschrank und nahm einen Becher Joghurt heraus. Ich roch daran, probierte und gab etwas in eine kleine Glasschüssel, die ich ihr hinstellte.
Ich kann die Wohnung nicht mehr verlassen, sagte sie. Ich habe Angst vor diesen verkleideten Wesen, ich habe Angst vor ihren grinsenden Masken. Sie sind total unheimlich.
Es ist Karneval, erinnerte ich sie.
Nein, es ist die Hölle, sagte sie. Unter den Masken stecken Dämonen. Ich bete, dass sie verschwinden. Ich bete ohne Unterlass. Die Jungfrau soll mir helfen. Ich bete zur Jungfrau.
Ich fragte Mary, ob sie jemanden habe, eine Freundin, die ich anrufen könne. Vielleicht ihre Eltern.
Nein, sagte sie, die sind alle nicht mehr. Tot. Ich werde beten, wiederholte sie, ich werde beten, weil Jesus mich liebt.
Mary, es muss doch außer Jesus jemanden geben, den ich anrufen kann. Jesus geht ja praktisch nie ans Telefon, seit zwei Jahrtausenden nicht.
Pater Smiley. Den kannst du anrufen.
Gib mir seine Telefonnummer.
Habe ich nicht.
Wo finde ich ihn denn?
In der Kirche, flüsterte sie.
In welcher?
St. Mary.
Das finde ich schon, sagte ich.
Die Kirche war verschlossen. Auf der Rückseite stand ein kleines Haus. Ich klopfte, eine alte Frau kam an die Tür. Wohl die Sekretärin, dachte ich, sie trug eine Brille. Ich folgte ihr ins Arbeitszimmer bis an ihren überfüllten Schreibtisch, sie bat mich zu warten. Nach einer Weile führte sie mich in das Büro des Priesters.
Herr Priester,
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