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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rawi Hage
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jäh unterbrochen wurde. Ich war nämlich kurz davor gewesen, den Roten Brigaden in Italien beizutreten. Ein italienischer Priester lag gefesselt auf meinem Pritschenwagen, er rang mit dem Tod. Neben mir am Steuer saß eine Frau, sie hatte angehalten und gab mir eine Telefonnummer. Ich stieg aus. Als die Polizeisirenen aufheulten, befand ich mich gerade in der Telefonzelle, und da verstand ich, dass in meiner Wohnung das Telefon läutete.
    Ich klemmte den Hörer ans Ohr und schnallte den Gürtel zu.
    Hallo, sagte eine Stimme, hier spricht Frau Dingenskirchen (den Namen verstand ich nicht) aus dem Diözesanbüro. Pater Smiley von der St.-Mary-Gemeinde hat mich gebeten, Sie anzurufen.
    Wie geht es Mary?, fragte ich.
    Besser, glaube ich. Aber es ist der Pater, der gern mit Ihnen sprechen würde.
    Dann geben Sie ihn mir bitte, sagte ich.
    Also, der ist im Krankenhaus.
    Bei Mary?
    Nein, ich glaube, Mary ist entlassen worden.
    Und wo ist sie hin?, fragte ich.
    Ich glaube, der Pater hat einiges mit Ihnen zu besprechen, sagte sie. Meine Frage ignorierte sie.
    Na gut, sagte ich. In welchem Krankenhaus liegt er denn?
    Er ist in St. Mary’s.
    Aber nicht in der Kirche St. Mary’s, sondern im Krankenhaus St. Mary’s? Habe ich Sie richtig verstanden?
    Ja, sagte Frau Dingenskirchen.
    Okay, dann sollte ich ihn vielleicht im St.-Mary’s-Restaurant im St. Mary’s-Krankenhaus treffen.
    Nein, bitte gehen Sie gleich in sein Zimmer.
    Und die Zimmernummer?
    Das wäre die 107.
    Bestens.
    Ich danke Ihnen, sagte sie. Gott segne Sie.
    Ich legte auf, kehrte noch einmal zu meinem Pritschenwagen zurück und besprach die Sache mit dem Mädchen von den Roten Brigaden.
    Plan B?, fragte ich.
    Sie nickte und sah mich an, ihre freche Art gefiel mir sehr.
    Ich zeige dir, wie wir zum St.-Mary’s-Krankenhaus kommen, sagte ich. Wir könnten den Priester einfach dort loswerden.
    Und das Manifest?, fragte sie. Und was ist mit dem Lösegeld?
    Ich werde sehen, ob die Kirche bereit ist zu zahlen, sagte ich. Die vatikanischen Bürger haben Geld genug.
    Ich nahm den Wagen und flog knapp unter der Wolkendecke, bis ich das Krankenhaus entdeckte. Nach einer Vollbremsung stürzte ich im Kamikazestil auf den Parkplatz zu. Ohne mir etwas anmerken zu lassen, ging ich hinein, fand das Treppenhaus und das Zimmer. Ich öffnete die Tür.
    Der Priester war kaum wiederzuerkennen. Er sah aus, als wäre er von Außerirdischen gekidnappt worden. Er war mit Plastikschnüren gefesselt und sah gebrechlicher aus, älter, als ich ihn in Erinnerung hatte. Hinter ihm wuchs ein Blütendschungel, davor war eine Reihe von Grußkarten aufgestellt, jeweils mit gesenktem Haupt, sowie eine Sammlung von winzigen Marienstatuen und Kreuzen und Krippen. Ich trat ans Fenster und sah nach meinem Wagen. Aus Protest gegen Vorteilsnahme und Privilegien hatte ich auf einem reservierten Arztplatz geparkt. Der Wagen stand noch da. Ich lehnte mich weit raus: Nirgends ein Abschleppwagen, die Luft war rein. Nur die Krankenwagen mit ihren heulenden Sirenen kamen angerauscht und hielten vor der Notaufnahme.
    Im hinteren Teil des Zimmers saßen zwei Nonnen, die ich zuerst weder gesehen noch gerochen hatte. Was glauben Sie, fragte ich, wann wird der Priester wieder zu Bewusstsein kommen?
    Das wissen wir nicht, antworteten die beiden im Chor.
    Schläft er?, fragte ich.
    Ja, er schläft, antworteten sie.
    Soll ich später noch einmal kommen?
    Wie Sie wünschen, trällerte das Duett.
    Dann gehe ich runter und rauche eine, sagte ich. In einer Stunde bin ich wieder da. Sagen Sie, haben Sie zufällig Mary gesehen?
    Schwester Mary?
    Nein, die andere, nicht die weiße Mary, sagte ich. Ich meine Mary, die so gern liest, man sieht sie nie ohne Buch.
    Die Nonnen sah sich lange an und sagten: Sie sollten auf jeden Fall mit dem Pater sprechen.
    Ich ging in die Cafeteria, bestellte Kaffee und sah mir die Bücher im Kiosk an, es waren nicht viele. Es war nichts dabei, das man hätte lesen können, nur Dummheiten, um den Geist zu betäuben, der die Schmerzen der Welt ertragen muss.
    Ich trat vor die Tür und gesellte mich zu einem Grüppchen bibbernder, verstoßener Raucher. Krankenhäuser sind ein Karneval des Todes. Eine Maskerade der ausgehöhlten Blicke, weiße Mauern wie im Fegefeuer, das säuselnde Chaos tief gebeugter Mütterchen, die den Diensthabenden nachjagen, geschürzte Ärzte, deren Zauberstäbe auf Krankenschwestern in Gesundheitsschuhen und gestärkten Engelsuniformen zeigen, die mit Verbandszeug

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