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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rawi Hage
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das uns alle retten kann.
    Gehen Sie jetzt. Ich muss die Krankenschwester rufen. Vielleicht werden wir uns eines Tages wiedersehen.
    Beim nächsten Mal werde ich Sie nicht wieder ins Leben zurückholen, das verspreche ich Ihnen, sagte ich und ging.
    Ich lief über den langen Flur, fand das Treppenhaus und rannte aus dem Gebäude. Ich sprang in den Wagen und flog in Richtung Markt und Karneval, ich war ein Vogel, ein Seiltänzer im Clownskostüm, ich sang und überprüfte mit empirischen Sohlen das aufgespannte Seil. Bald wurde aus dem Clown ein Narr, dann ein Prophet. Der rief der jubelnden Menge zu: Ich werde die Wolken verjagen und dem Regen Einhalt gebieten, ich werde das Puppenspiel, das euer Leben ist, zerstören und euch von dieser endlosen Scharade befreien! Meine Damen und Herren, der Magische Tempel ist jetzt geöffnet, treten Sie ein in das Zelt, stoßen Sie sich nicht den Kopf, und ziehen Sie bitte die Schuhe aus, drinnen erwartet Sie ein neues Leben. Dies ist Ihre Chance, meine Damen, kehren Sie ins Leben zurück als Tiger, als Löwe oder als Drossel, dies ist Ihre Chance, meine Herren, erhaschen Sie einen Blick auf das ewige Licht, lassen Sie sich die Lasten des Alltags von den Schultern nehmen. Bleiben Sie sitzen, und rühren Sie sich nicht, applaudieren Sie nur auf Kommando, und verlassen Sie das Zelt, sobald der Narr in seine Tröte bläst oder das Leuchtschild über der Tür in die Horizontale geht. Beeilen Sie sich, gleich beginnt die Vorstellung! Treten Sie ein, Ihre Sorgen werden wie weggeblasen sein! Aber naschen Sie nicht an dem verbotenen Futter, das macht die große Katze kirre! Und bloß nicht niesen, liebe Kinder, wenn der Mann dem Löwen mit bloßen Händen in den Rachen greift. Haltet euch an die Erwachsenen, dann werdet ihr Wunder erleben und Pferde, die aussehen, als könnten sie fliegen. Das Hergebrachte wird vor euren Augen wiedererstehen wie das Göttliche in alter Pracht! Tretet ein in den Tempel der Freude und Glückseligkeit, man wird euch eine neue Maske geben, ein neues Leben in Ewigkeit.
    Gunther
    Das Telefon klingelte, es war der Mann mit dem britischen Akzent.
    Guter Mann, sind Sie bereit für neue Abenteuer?, fragte er.
    Für gute Kunden wie Sie bin ich immer bereit, Sir.
    Eine halbe Stunde später stand ich vor seinem Haus.
    Na gut, mein Freund, dann wollen wir mal. Mein lieber Fly, wir werden gleich eine sehr ungewöhnliche Frau treffen, eine Autorin, eine … wie soll ich sagen, Kultfigur.
    Schreibt sie etwa Romane?, fragte ich begeistert.
    Ja.
    Ausgezeichnet, sagte ich. Und wie heißt diese Autorin?
    Namen, wer interessiert sich schon für Namen?
    Na gut, keine Namen, sagte ich, aber sagen Sie mir doch, welche Art Literatur sie schreibt.
    Da Sie nun einmal so wissbegierig sind, will ich Ihnen verraten, dass ihre Texte grob und versaut sind. Aber heute ist ja selbst die Blut-und-Leder-Literatur, wie wir sie nennen, ein wenig aus der Mode geraten. Sie schockiert uns nicht mehr, sie wirkt beinahe – lächerlich. Wie dem auch sei, sie erwartet mich, ich habe die Ehre, sie allein zu treffen. Wenn es sich ergibt, würde ich Sie gern vorstellen.
    Ja, gern, sagte ich. Es ist immer wieder ein Vergnügen, versaute Autoren kennenzulernen. Ich habe eine Zeit lang selbst mit dem Gedanken gespielt … aber statt zu tippen, habe ich mir ein anderes kreatives Hobby zugelegt, ich habe wirklich alle Hände voll zu tun.
    Ja, ja, das verstehe ich gut, welcher Literaturfreund verliert sich nicht gelegentlich in der romantischen Welt des Schriftstellers, der morgens zwischen Schreibtisch und Kühlschrank pendelt und abends auf den Cocktailpartys von Neureichen und Gesellschaftsdamen herumsteht, die zum Lesen keine Zeit haben. Wer sehnt sich nicht nach Sex, Ruhm und Nachruhm? Aber glauben Sie mir, Ihr Leben hätte viel schlimmer verlaufen können. Stellen Sie sich vor, Sie hätten das Paradies auf Erden erlebt, und nun wären Sie ohne einen guten Grund verstoßen. Führen Sie sich das vor Augen! Sie sind berühmt, Sie werden geehrt und mit Preisen überschüttet, und dann, plötzlich – poufff , wie die Franzosen sagen. Alles weg, kein Mensch kennt mehr Ihren Namen, Ihre Bücher werden eingestampft und zu Toilettenpapier verarbeitet. Ihr einziger Trost im Leben sind ein paar alte Fotos und die Drinks, die Sie sich an Ihrem Küchentresen mixen. Was mich zu der Dame bringt, die wir gleich treffen werden. Er reichte mir einen Zettel. Das ist die Adresse, wo wir diese einst so berühmte

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